“Und seines Königreiches wird kein Ende sein”: Ein klassischer Widerspruch: Lukas 1:33 oder 1 Korinther 15:28?

‘Und seines Königreiches wird kein Ende sein’

Ein klassischer Widerspruch: Lk 1, 33 oder 1 Kor 15, 28?

Rinse Reeling Brouwer

Während seiner Amsterdamer Lehrtätigkeit hat Karel Deurloo immer wieder Seminare und Vorlesungen zusammen mit dem jeweiligen Dogmatiker der Fakultät gehalten. Dies ist charakteristisch für seine Auffassung, dass es einerseits keine in dogmatischer Hinsicht ‘voraussetzungslose’ Exegese biblischer Texte gibt, dass andererseits aber auch die Dogmatik im Interesse einer fortwährenden Selbstkorrektur immer das Gegenüber der biblischen Theologie braucht.

Für sein letztes Trimester im Herbst des s.E. letzten Jahres des 20. Jahrhunderts hat er ‘Das Königtum’ zum gemeinsamen Thema gewählt. Wer mit dem Deurloo’schen Entwurf Biblischer Theologie vertraut ist, wird davon nicht überrascht sein. Denn während es sich seiner Ansicht nach in der Tora auf der einen Seite um den Brennpunkt ‘Exodus’ handelt und bei den ‘hinteren’ Propheten auf der anderen Seite um den Brennpunkt ‘Exil’, bildet das Zentralthema des Königtums in den ‘vorderen’ Propheten eine Brücke zwischen beiden. Der davidische König, auf den sich die vorderen Propheten hinbewegen, wird das ‘Hinaufgehen’ aus der Unfreiheit vollenden, während zugleich die Pervertierung des Instituts, von der sie erzählen, wenn sie sich von David her bewegen, zeigt, wie in den Gefahren des Königtums die Kieme des Exils bereits angelegt sind. Von dieser Analyse der Lage geht am Anfang der messianischen Schriften der Evangelist Matthäus aus. Er leitet die Leserin an, sich mit ihm auf die Suche nach demjenigen Sohn Davids zu begeben, der imstande sein wird, eine Kehre im Exil Israëls herbeizuführen.

Zum Thema Königtum haben Biblische Theologie und Dogmatik einander viele Fragen vorzulegen. Eine der sich hier aufdrängenden Fragen ist die nach dem möglichen oder unmöglichen Ende des Königtums eines von Gott gesalbten Menschen.

Es ist in der biblischen Botschaft klar, dass das Königtums des Gottes, der aus dem Exil zum Zion kommt, um seine Herrschaft auf sich zu nehmen, sowohl (von seiner zionistischen Partikularität her) im Raum weltweit als auch in der Zeit ‘auf Weltzeit’ gültig ist. Aber wie steht es mit seinem Schwur: ‘Davids Same soll bleiben auf Weltzeit  / sein Stuhl mir wie die Sonne zugegen  / wie der Mond, in Weltzeit gefestet  / ein Zeuge im Luftraum, getreu!’ (Ps 89,  37f. nach Buber; auch 2 Sam 7, 12f)? Der Evangelist Lukas hat auf diese Frage eine klare Antwort gegeben. Nach ihm hat der himmlische Bote Gabriel zum überrumpelten Mädchen Mirjam über ihren zukünftigen Sohn gesagt: ‘Gott der Herr wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; und er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich, und seines Königreichs wird kein Ende sein’ (Lk 1, 32f. nach Luther). Diese Antwort hat sogar einen kirchlich-konfessionellen Status bekommen, denn die letzte Redewendung (‘sein Reich wird keine Ende haben’) taucht schon ziemlich rasch nach dem ersten Konzil von Nizäa beim Abschluss des zweiten (christologischen) Artikels auf und wird in den Worten des so genannten Symbolums Nicaeno-Constantinopolitanum (dessen genaue Herkunft und Werdegang noch immer nicht genau geklärt sind) ‘in Geschlecht um Geschlecht’ in der Christenheit gesungen.[1]  Es hat aber an diesem Punkt an Gegenstimmen nie gefehlt. Im 4. Jh. war es Markell, Bischof im galatischen Ankyra (dem heutigen Ankara), der auf Grund der Ausführungen des Paulus in 1 Kor 15, 24-28, dass der Christus nach Vollendung seines letzten Werkes, nämlich der Unterwerfung des Todes als letzten Feind, sich selbst dem Vater übergeben werde, die Schlussfolgerung zog, dass damit dann auch seinem irdischen Königtum ein Ende bereitet sein würde. Und Markell hat bis in unsere Zeit Nachfolger gefunden (z.B. in A.A. van Ruler). Eine kirchliche Versammlung (381 o.a.) mag dann zwar seine Position verurteilt haben, die Diskussion ist damit aber keineswegs beendet worden. Sowieso lebt die Dogmatik von den ersten Katecheten- und später Kapitelschulen vom (bis zum jüngsten Tag) andauernden Gespräch über die Widersprüche in den heiligen Schriften: Ist es möglich, Lukas und Paulus in dieser Frage beiden Recht zu geben? Und wenn ja, wie ist das möglich? Der heutige Biblische Theologe kann helfen, um (anders als frühere Geschlechter) hier nicht frühzeitig harmonisieren zu wollen und nicht nur unterschiedliche Gestaltungen, sondern auch möglicherweise unterschiedliche theologische Konzeptionen bei den primären Zeugen des göttlichen Dabhars wahrzunehmen. Aber dieser Biblische Theologe wird schon von sich aus auch am Zusammenklingen der Zeugnissen orientiert sein und sich deshalb für die Lösungsvorschläge des Dogmatikers offen halten. Jedenfalls dann, wenn dieser Biblischer Theologe Karel Deurloo heißt.

Ob sein Reich kein Ende hat: Objectiones

Nun könnte man bemerken, dass jede Vorstellung von einem Ende jenseits einer Überwindung des Todes eine unmögliche Vergegenständlichung des Unvorstellbaren sei und deshalb dem Verdacht der Projektion von der heutigen Weltzeit her und dem Verdacht des unzulässigen Mythologisierens ausgesetzt ist.[2] Haben zudem nicht auch die Kritiker des Utopismus, von Hans Jonas bis Hans Achterhuis, gezeigt, dass solche Wunschvorstellungen von der Endzeit keineswegs unschuldig sind, sondern, gerade wenn sie als praktikabel gedacht werden, verheerende Wirkungen haben können? Dazu würde ich sagen: Ja, diese Gefahren bestehen, aber man begegnet ihnen nicht dadurch, dass man sie umgeht und überhaupt keine Vorstellungen von der Endzeit entwickelt, sondern dadurch, dass man bereits entwickelte Vorstellungen immer wieder kritisch diskutiert und neu durchdenkt.

So hat Jürgen Moltmann (der von Karel Deurloo in der letzten Zeit wieder mit Begeisterung ‘entdeckt’ worden ist) in seiner aufregenden Skizze des Millenarismus der westlich-christlichen Geschichte eine ernsthafte Frage an die Aufnahme von Lk 1, 33 ins Symbolum gestellt. Ist diese, so fragt er, nicht eine Äußerung der Theologie der ‘konstantinischen Wende’, des präsentischen Millenarismus des 4. und 5. Jahrhunderts gewesen, das im Imperium Sacrum schon den Anbruch des tausendjährigen Reiches und der göttlichen Universalmonarchie begrüßte und das sich selber als eine ‘ewige Gewalt’, ein ‘Reich ohne Ende’ (das, wie das Gottesvolk im Reiche des Menschensohnes Dan 7, 14, alle vorangehenden Weltreiche überlebte) feierte? War es deshalb nicht konsequent, dass (wie in der Ostkirche noch immer) jede andere Hoffnung auf das Millenium und damit die Annahme eines messianischen Reiches Christi, das nach 1 Kor 15, 28 der Vorbereitung des ewigen Reiches des Vaters dient, verworfen wurde? Wurde so nicht die gegenwärtige Representation des Reiches Christi durch Kirche und Kaiser gesichert und verewigt?[3]

Moltmanns These wäre gerade dann besonders stark, wenn der von den Synoden und Konzilien verworfene Gegner, Markell von Ankyra, sich nicht nur auf 1 Kor 15, 28 berufen, sondern dies zudem mit der Absicht gemacht hätte, der Verewigung der Reichsideologie zu widersprechen. Dies mag vielleicht eine Folge seiner Position gewesen sein, die Hauptsache für ihn selber war es jedoch nicht. Was die Hauptsache dann war, ist nicht einfach zu rekonstruieren. Man hat gesagt: Es war der Nachdruck auf die biblische Erkenntnis der Einzigkeit und Einfachkeit Gottes und die entsprechende Abneigung gegenüber jeglicher neuplatonischen Lehre der Abstufungen und Hierarchien in der Gottheit. Das beinhaltete eine starke anti-arianische Behauptung der Einheit des Inkarnierten mit Gott selber: nur von Christus her konnte von Gott geredet werden. Aber es beinhaltete merkwürdigerweise auch eine Ehrung der Einheit Gottes abgesehen von der Inkarnation: so wie der Logos Gott war vor der Erschaffung des Alls und vor der Fleischwerdung, so wird der Logos nachher auch wieder in Gott aufgehen. Und das geschieht, wenn der Mensch gewordene Sohn dem Vater das Reich wieder übergibt und nur als ewiger Sohn noch ewig mit ihm regieren wird. Markell erwartete dieses Aufgehen des Reiches der Schöpfung und des Messias in die göttliche Unmittelbarkeit sehr bald, und so gesehen ist seine Naherwartung tatsächlich eine Leugnung der konstantinischen Ideologie.[4] Aber zugleich hinterlässt seine Theologie ein Problem. Man kann sich nämlich fragen, ob die Vehemenz, mit der die Einfachkeit Gottes hier befürwortet wird, nicht doch wieder unterminiert und durch eine Duplizität ersetzt wird, wenn der Unterschied zwischen einem Fleisch gewordenen Logos und einem von der Fleischwerdung abstrahierten Logos so stark unterstrichen wird? Und man kann sich fragen, ob sich ein Reich des Vaters nach dem Ende des Werkes des Sohnes unter Abstrahierung dieses Werkes gerade für einen biblischen Theologen, wie Markell es doch sein wollte, denken lässt?

Bei den eschatologischen Gedanken A.A. van Rulers lassen sich solche Fragen noch viel eindringlicher stellen. Für ihn bedeutet die Verheißung einer Zurückgabe des Reiches vom Sohn an den Vater ein Ablegen des Fleisches. Die Inkarnation war doch nur eine Notmaßnahme, das Messianische nur ein Intermezzo. Jetzt geht es christlich zu in der Welt, einmal wird es göttlich zugehen. Die Erlösung ist um der Wiederherstellung der ursprünglichen Schöpfung willen da, die Christlichkeit um der gottesfürchtigen Menschlichkeit willen, das Evangelium um des Gesetzes willen, die Liebe um des Rechtes willen.[5] Solche Sätze kann man sich als Provokation einer allzu weltfremden, allzu frommen, allzu asketischen Kirchlichkeit und Christlichkeit wohl vorstellen, aber wenn sie ernst gemeint sind bedeutet der Ersatz eines christlichen Partikularismus durch einen allgemein-religiösen theozentrischen Universalismus nichts weniger als die völlige Aufhebung des pars pro toto-Charakters des biblischen Zeugnisses. Die Aufmerksamkeit, die mit Recht 1 Kor 15, 28 zugewendet wird, fragt auf diese Weise doch einen hohen Preis.

Ohne Zweifel ist die Position van Rulers innerhalb der reformierten Theologie eine extreme. Dennoch befindet sie sich nicht völlig außerhalb dieser Tradition. Calvin z.B ist viel vorsichtiger und versucht ernsthaft, Lk 1, 33 und 1 Kor 15, 28 zusammenzudenken. Dennoch bekommt man auch bei ihm den Eindruck, dass die behauptete Ewigkeit des irdischen Reiches des Sohnes vor allem einen seelsorgerischen, trostreichen Zweck hat: So lange es noch Feinde der wahrhaftigen Kirche gibt, kämpft zur Rechten des Vaters der Herr für sie. So lange Gottes Kinder Angst vor Sünde und Tot leiden, haben sie in ihrem Mittler eine Stütze. So lange die Vollendung noch nicht da ist, will der Vater ihnen (nicht passiv sondern aktiv, nicht abwesend sondern anwesend) im versöhnenden Antlitz des Menschen Jesus Christus erscheinen. Calvin kann in seiner ‘christologische Konzentration’ immer wieder äußerst schön davon reden. Aber nach ihm wird es offenbar doch auch eine Zeit geben, in der das Antlitz Gottes wieder unmittelbar erscheinen und die Menschlichkeit des Sohnes zurücktreten kann, weil das Mittleramt vollendet sein wird. Damit ist die ewige Königsherrschaft nicht beendet, jedoch immerhin transformiert.[6] Die Frage bleibt, ob hier nicht auch der Gedanke einer Beendigung der Geschichte der Fleischwerdung wenn auch nicht gelehrt, dann doch jedenfalls offen gehalten wird?

Und es bleibt mehr generell die Frage, ob das nicht eine notwendige Konsequenz ist, wenn man an 1 Kor 15, 28 neben Lk 1, 33 festhalten will?

Sed contra

Kürzlich hat A. van de Beek sich nachdrücklich geweigert, diese letzte Konsequenz zu ziehen. Sie beruht s.E. auf dem Kurzschluss, die Unterwerfung oder der Gehorsam des Sohnes könne nur in Konkurrenz zu seiner Gottheit gedacht werden. Dann wäre es nämlich notwendig, dass der Mittler im Fleische zurücktritt, um dem Gott und Vater Raum zu geben. Aber wenn gerade der Gehorsam seine Göttlichkeit kennzeichnet, dann ist die letzte Unterwerfung nichts als die vollkommene Repräsentanz Gottes. Kein anderer Gott als der Gott, dessen Wille dieser Mensch ausgeführt hat, wird am Ende da sein. Eine sehr wichtige Einsicht![7]

Van de Beek geht auf die Ausführungen Moltmanns zur Erfüllung des Gehorsams des Sohnes, in denen dieser sich darüber hinausgehend auch reichlich spekulative Gedanken über die Rückwirkung des Vorgangs auf das innertrinitarische Leben, ja sogar über die soziale Gestalt des Lebens der ‘offenen Trinität’, wenn Gott alles in allem ist, macht, nicht ein.[8] Ein Abwägen beider Positionen scheint mir jedoch nützlich zu sein. Die Stärke van de Beeks ist, dass er die biblischen Aussagen tatsächlich zusammendenken kann: Das Reich des Sohnes hat kein Ende, denn der Sohn ist gerade auch bis zum Ende hin gehorsam. Die Stärke Moltmanns ist sein Argwohn gegen jegliche klerikale oder politische Konfiskation des Reiches ohne Ende und, dementsprechend seine Verwegenheit, es zu wagen, eine soziale Utopie des ‘Gott alles in allem’ überhaupt zu denken. Eine Frage an Moltmann könnte sein, ob man, wie er das mit seiner (von seinem Inspirator van Ruler übernommenen, aber weitaus progressiver ausgearbeiteten) Unterscheidung zwischen dem Reiches des Sohnes und dem Reich des Vaters macht, das Messianische weitgehend auf ein Intermezzo, auf eine vorübergehende Episode im innertrinitarischen Leben reduzieren darf. Es könnte andererseits eine Herausforderung für van de Beek sein, das Zusammendenken von Gehorsam und Gottheit auch hinsichtlich der sozialen Implikationen, wie Moltmann sie angeführt hat, weiterzuentwickeln. Im Folgenden werde ich versuchen, die starken Seiten beider Positionen zu kombinieren und ihren Schwächen zugleich zu vermeiden.[9]

Ein Vorschlag

Blicken wir erst nochmals auf die Perikope 1 Kor 15, 24-28.

Paulus erinnert zunächst an Psalm 110 (Vs. 25). ‘Er muss herrschen, bis dass er alle Feinde unter seine Füße lege’. Denn so lange es Feinde gibt, Unrecht, Gewalttätigkeit, Todesmacht, gibt es messianischen Kampf. Aber wer ist hier: ‘er’? Ein messianischer König, nach der Weise Melchisedeks! Wir wissen es, aber der Apostel sagt es nicht.

So auch etwas weiter, wenn Psalm 8 zitiert wird (Vs. 27): ‘Er hat ihm alles unter seine Füße getan’. Wir fragen: unter wessen Füße? Deurloo sagt: Nach antik-orientalischer Auffassung war es der König, der die menschliche Umwelt (das Feld, die Tiere, die Löwen) beherrscht, hier ist diese Beherrschung ‘demokratisiert’: dem Menschen schlechthin kommt diese Macht zu.[10] Für Paulus ist der Messias das Geheimnis des Menschen. Aber seine Messianität ist eine inklusive. So verkündet er es im gesamten Kapitel: die Auferstehung dieses einen Menschen aus den Toten hat die Auferstehung im Plural zur Voraussetzung! Es ist nicht gut, dass dieser Mensch allein sei.

Dann hören wir sechs Mal das Wort hupotassein, ‘unterwerfen’, ‘(sich) unterordnen’ (Vss. 27bf.). Der Sohn wird sich unterordnen, und zwar dem, der ihm alles untergeordnet hat. Aber dabei ausgenommen, der ihm alles untergeordnet hat. Interpreters bible nennt diese letzte Bemerkung eine paulinische ‘Pedanterie’. Mir kommt es jedoch vor, das wir Hörer hier absichtlich eingeladen werden, uns über die Anhäufung des Verbs zu verwundern. Nach dem fünften und sechsten Mal ‘hupotassein’ erwartet man doch: ‘alsdann wird auch der Sohn selbst untergeordnet sein dem, der ihm alles untergeordnet hat’…: ‘auf dass dem Herr Gott alles untergeordnet sei’. Diese letzte Wendung wäre für van Ruler (oder für H.M. Kuitert) wahrscheinlich am schönsten gewesen: am Ende, nach dem messianischen Intermezzo, bleibt nur das einzige Subjekt, bleibt nur der reine Theozentrismus. Doch steht diese Wendung dort nicht! Nach dem sechsten Mal ‘hupotassein’ folgt kein siebtes Mal, sondern etwas anderes,  nämlich: ‘auf dass Gott sei alles in allem’. ‘Es atmet die Atmosphäre einer Idylle, wo Henoch lebte mit Gott, des großen Sabbats. Gott ist nicht hochmütig. Er hat nicht gerne ein Reich für sich allein. Er ist nur Gott wenn seine Disponibilität und seine Dienstfertigkeit Gemeingut aller sind.’[11] Es handelt sich also nicht um ein pantheistisches Verfließen des Göttlichen mit dem Menschlichen, sondern um die Art der Gegenwart Gottes unter den Menschen, eine Gegenwart, die sich in einer gegenseitigen Dienstbarkeit und im gegenseitigen Gehorsam vollzieht.

Daraus ziehen wir folgende Schlussfolgerungen:

1. Van de Beek hat Recht. Die Inkarnation wird nicht aufgehoben, sie ist vielmehr selbst in ihrer Art eschatologisch. Der Gehorsam besteht bis zum Ende, ja, er qualifiziert das Letztendliche. Die Vollendung ist die Erfüllung des Gehorsams des Sohnes, der nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zum Lösegeld für viele (Mt 20, 28). Das wird nicht beiseite gestellt, das wird gerade allseitig erfüllt!

2. Moltmann hat Recht. Diese Erfüllung hat eine soziale Komponente. Der Herr hat sich erniedrigt als Knecht, und zwar in einer nicht wieder rückgängig zu machenden Bewegung. So lange es Feinde gibt, so lange gibt es Herrschaft. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod (V. 26). Also so lange der Tod herrscht, gibt es Herrschaft. Aber wenn der Tod  aufgehoben ist, hat Gott der Herr auch aufgehört, Herr zu sein. Dann bekommt endlich auch die feministische Kritik der Übersetzung des Gottesnamens ihr Recht. Gott, der als alles in allen inkarnierte Gott, braucht dann nicht länger Herr zu sein, und kann dann voll und ganz gegenseitige Disponibilität und Dienstfertigkeit sein. Ist das die Ablösung des messianischen Reiches? Nein, es ist gerade seine Erfüllung. Und von diesem Reich, dem Reich des völlig in die Händen aller gelegten, des ‘demokratisierten’ Königtums, kann man sehr wohl sagen (und ich verstehe eigentlich nicht, warum nicht auch Moltmann das sagen könnte), dass es ‘kein Ende haben wird’…


[1]      DS 150: hou tes basileias ouk estai telos (cuius regni non erit finis). Varianten schon um 341 herum z.B. zitiert bei J.N.D. Kelly, Early christian Creeds London 21960, 265 (kai diamenonta basilea kai theon eis tous aeoonas), 267 (kai menonta eis tous aeoonas), 272 (ou monon en toi aeooni toutooi, alla kai en tooi mellonti, = DS 139, Sermiense I aus dem Jahre 351, s. Kelly 281: non solum in hoc saeculo, verum etiam et in futuro).

[2]           Schon Karl Barth versuchte in seiner Auslegung von 1 Kor 15,20-28 (übrigens nicht ohne grammatikalische Kunstgriffe im Griechischen), sich von dem Gedanken zu distanzieren, der Apostel entwickle hier eine eschatologische Mythologie. S. Die Auferstehung der Toten, Eine akademische Vorlesung über 1 Kor 15, München 21926, 97.

[3]           J. Moltmann, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995, 176. Als ein (durch Moltmann selbst nicht genanntes) Argument für diese Behauptung könnte die Tatsache angeführt werden, dass die Synoden von 341-351, welche die Formel in ihre Symbola aufnahmen, nicht von einer Figur wie Athanasius mit seinem Kampf für die Freiheit der Verkündigung, sondern eher von der mit dem kaiserlichen Machtapparat verbündeten (eusebianischen) Mittelpartei veranstaltet worden sind.

[4]           Zu  Markell von Ankyra vgl.. M. Tetz, ‘Zur Theologie des Markell von Ankyra’ I-III: ZKG 75 (1964) 217-270; 79 (1968) 3-42; 83 (1972) 145-194; A.M. Ritter in C. Andresen, Handbuch der Dogmen und Theologiegeschichte Band I, Göttingen 11982, 157-160; K. Seibt, ‘Marcell von Ancyra’ in: TRE Band 22, Berlin – New York 1992, 83-89.

[5]           A.A. van Ruler, De vervulling van de Wet, Nijkerk 1947; De dood wordt overwonnen. 1 Corinthe 15 in morgenwijdingen, Nijkerk 1964; ‘Hoofdlijnen van een pneumatologie’, in: Theologisch Werk VI, Nijkerk 1973, 9-40.

[6]           Ioannis Calvini Commentarii in Priorem Epistolam Pauli ad Corinthios, 1546 (CO 49, 293ff). 1559 auch teilweise übernommen in Institutio Christianae Religionis II.15.5 (OS III, 477-479).

[7]           A. van de Beek, Jezus Kyrios. De christologie als hart van de theologie, Kampen 1998, 118-120 (auch 37-39).

[8]           J. Moltmann, o.c. 363-64 u.ö.

[9]              Es würde den Horizont dieser unseren Fragestellung bei weitem überschreiten, hier auch noch die Position des für Deurloo wichtigsten lebendigen Dogmatikers, nämlich Friedrich Wilhelm Marquardts im Gespräch einzubeziehen. Für Marquardt ist die Stelle 1 Kor 15, 28 ein ‘Rocher de bronze bei der Begegnung von Juden und Christen’ (Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie Band 2, München 1991, 446), die er ‘als “echatologischen Vorbehalt” gegen das, was uns als trinitarische Erkenntnis Gottes aufgegangen, den Juden noch nicht aufgegangen ist’ begreift (Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Eine Eschatologie Band 3, Gütersloh 1996, 230-231).

[10]         K.A. Deurloo zu Psalm 8 in: De weg van de rechtvaardige. De psalmen 1-8 en 42-49. Voor de kinderen van Korach V, Amsterdam 1999, 108.

[11]         Th.J.M. Naastepad, Maandbrief voor ‘Arauna’, april 1985.

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R.H. Reeling Brouwer

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