‘Theologie als Nonkonformismus?’ 27. Barth-Tagung Driebergen. Zur Einleitung

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Driebergen 2009

Einleitung

Es ist mir eine Freude Sie herzlich zur 27. Barth-Tagung in den Niederlanden begrüßen zu können. Das Thema lautet diesmal: “Theologie als Nonkonformismus?”

I.

K.H. Miskotte hat den Titel “Nonkonformismus” in 1964 als die Überschrift einer Meditation zu Römer 12:2 gewählt: “Stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen möget, welches da sei der gute, wohlgefällige und volkommene Gotteswille” (In de Waagschaal 20/13; Kennis en Bevinding, Haarlem 1969, 246-249). Ich zitiere einige Abschnitte: “Diese ist die jubelnde Sicherheit welche die   Paränese trägt: ihr könnt nicht mehr die Kosmos der Mächte verehren, ihr könnt euch nicht mehr in der Wesensgestalt dieser Welt zuhause fühlen, ohne Hoffnung auf das ‘Gegebene’, oder auf das ‘Unveränderliche’ starren, den Kreislauf des Aufgangs und des Untergangs – denn ihr seid in Israël einverleibt; nicht durch eure Bekehrung, sondern durch die göttliche Wendung, welche eingetreten ist, und durch die göttliche Bewegung welche euch mit umfasst und mitnimmt auf ihrer Weg. Das muss wohl abstrakt und hochtrabend erscheinen. Ich bitte um Verzeihung, dass ich es nicht besser ausdrücken kann, weil ich davon überzeugt bin: gerade hier können wir Klarheit erreichen in der Frage, was es ist Christ zu sein, nämlich: diese Paränese bejahen, dieser Entfremdung der Grundformen der Welt, dieser Einverleibung in Israel, dieser Aufnahme in der göttlichen Wendung mit der Tat zu danken: “ich bitte euch, dass ihr euch nicht in der Gestalt der Welt füget, sondern euch in ihrer Veränderung füget, durch die Erneuerung eures Denkens” – ich bemerke: in Unterschied zu Luther
übersetzt Miskotte nous hier mit Denken, was der Philosoph Alain Badiou in seiner Pauluserklärung für so wichtig hält. „Dies alles“, fährt Miskotte fort, “aufgrund der Barmherzigkeiten Gottes (vs. 1), kraft der Gnade die über sie als Heiden auf dieser Weise kam, dass sie das ‘Schema des Äons’, die Struktur dieser Menschenwelt nicht mehr für das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene halten können.  Deshalb klingt in dieser Ermahnung so stark der Trost mit; der Nonkonformismus ist kein Gesetz von aussen, sondern eine innere Notwendigkeit in Jesus Christus und in seiner Auferstehung. Das Leben der Gemeinde bringt ein Denken mit sich, durch welches sie das Gesetz des Weltlaufs vom Willen Gottes unterscheiden muss, darf und kann. Christen mögen, müssen und können sich durch die Gestalt ihres Lebens, die Haltung ihrer Seelen und die Ergebung ihrer Herzen von der Möglichkeit distanzieren, dass ihr Leben eine Wiederholung der Gestalt und des Charakters dieser Welt zeigen würde.” Ich breche das Zitieren Miskottes hier ab, obwohl es uns viel Vergnügen und auch einige Betrübnis bereiten würde, zu hören wie er in der Fortführung der Meditation dieser skizzierte echter Nonkonfirmismus von dem unechten unterscheidet, nämlich vo der diabolischen Versuchung, die große biblische Grundwörter wie ‘Welt’ zu erniedrigen, zu banalisieren, wie es im Christentum so oft geschehen ist, und wie die Distanz, welche der Apostel fordert, dann in der Mittelmäßigkeit einer Verurteilung vom Tanzen, Karte spielen usw. untergeht. “Ein authentischer Nonkonformist aber”, beschließt er, “lässt ‚das Schema dieser Welt’ nicht gelten als etwas das zu seinem Vorteil erworben sein sollte, um das Chaos zu wehren. Ganz im Gegenteil ist er durch die Veränderung, von der Paulus spricht, und kraft der Erneuerung seines Sinnes, des Auftaktes einer neuen Gesinnung, ungläubig geworden. Kurz: der echte Nonkonformist weiß, dass er zu einem tatkräftigen Unglaube an der Gültigkeit der Strukturen der ‘gegebenen’ Welt berufen ist.”

II

Nonkonformismus, das heißt: nicht Mitmachen wo ‘jedermann’ etwas zu  machen pflegt, heißt das Streben nach eine selbständige Lebenshaltung. Von Paul Tillich ist bekannt, dass er es als eine Verpflichtung eines Theologen gesehen hat, nonkonformistisch zu sein. Von Karl Barth kenne ich eine ähnliche Äußerung nicht. Nichtdestoweniger hatten wir im Vorbereitungskomitee den starken Eindruck, dass Barth in seiner Zeit als ein Nonkonformist zu bezeichnen wäre, und das diese Wahrnehmung nicht nur eine aüßerliche bleiben kann, aber auf irgendeiner Weise mit den Intimitäten seiner Vorstellung einer theologischen Existenz zu tun haben könnte. Ist dies richtig gesehen? – das ist die erste Frage, die uns während dieser Tagung begleiten soll. Und die zweite Frage, die dann gleich mitkommt: wenn ja, haben wir hier mit einem Phänomen zu tun, dass wir zu historisieren haben, weil es ein Damals betrifft, das uns nichts mehr angeht, oder hat es auch in unserer Zeit noch einen Sinn, die theologische Existenz als eine Art des Nonkonformismus zu skizzieren?

Wir werden diese Fragen in zwei parallelen Durchgängen näher studieren und diskutieren. Erstens wird in den Arbeitsgruppen, mit Hilfe der unter uns üblich gewordenen Arbeitsweise, den Versuch gemacht, Texte Barths auf verschienenen Feldern seiner Tätigkeit als Theologe daraufhin zu befragen, in wiefern sein Auftreten mit diesen Texten als nonkonformistisch zu bezeichnen wäre: 1. als Pfarrer, der sich die Pose eines Propheten anmisst und verweigert ‘es den Leuten recht zu machen’; 2. als akademischer Theologe der sich als kritischer Prüfer kirchlicher Aussagen versteht, und also mit der Kirchenleitung zu gegebener Zeit auf Kollisionskurs gehen kann; 3. als Intellektueller unter den (Europäischen, männlichen, weißen) Intellektuellen, der sich die Art seines spezifischen theologischen Diskurs nicht ohne weiteres von seinen Gesprächspartnern vorschreiben lässt und 4. dann auch nach innen als Dogmatiker, der sich die Frage der Entfremdung eines Christenmenschen der ‘Welt’ gegenüber zu stellen hat und insbesondere auch die Entfremdung, d.h. die Einsamkeit des Theologen inmitten der Christen, als Thema in Betracht ziehen muss.

Daneben gibt es, wie wir hoffen, eine Linie in den vorgesehenen Vorträgen, für die Bereitschaft, sie in dieser Kreis bei dieser Gelegenheit zu halten wir den anwesenden Referenten vom Herzen danken. Drei Schritte sind hier vorgesehen. Erster Schritt: was bedeutete es eigentlich nonkonformistisch zu sein in der Zeit, in der Karl Barth lebte, oder etwas unfreundlicher gesagt: wie konformistisch war es eigentlich in jeder Zeit für einen Denker, nonkonformistisch zu sein? – Hartmut Ruddies wird uns in diese Problematik einführen. Zweiter Schritt: gehört es wesentlich zur Sache der Theologie, das sie von einem Subjekt getrieben wird das sich nonkonformistisch verhällt? – Michael Trowitzsch wird uns, wie der Titel seines Referats ankündigt, mit einem sic et non zu dieser Frage konfrontieren. Dritter Schritt: gibt es die Notwendigkeit und die Möglichkeit zum Nonkonformismus des Theologen auch heute? Das heißt: hat es eigentlich unter den aktuellen kulturellen Bedingungen überhaupt noch Sinn, davon zu reden? Und wenn schon, wie könnte dieser Nonkonformismus dann aussehen? Weil wir hier mit der Möglichkeit rechnen wollten, das unterschiedliche Kontexte hier, jedenfalls teilweise, auch unterschiedliche Antworte erfordern könnten, haben wir zu diesen Fragen zwei Referenten angefragt: Ulrich Dannemann für den deutschen Kontext, und Ever-Jan de Weijer für den niederländischen. Die an sie gestellten Fragen sind seitens des Vorbereitungskomitees wirklich als offene Fragen gemeint: wir sind sehr darauf gespannt, wo wir uns am Ende der Tagung gemeinsam befinden werden!

III.

Die Niederländischen Barth-Tagungen haben sich in der ersten Hälfte der Achtziger Jahren als kleinere Schwester der Tagungen auf der Leuenberg gestaltet, jedenfalls um Interessierten in dieser Ecke Europas zu bedienen (die Frage, ob auch mit einem eigenen inhaltlichen Profil, sei den Historikern überlassen). Seit 1985 erscheinen die Referate beider Tagungen in der Zeitschrift für dialektische Theologie. Obwohl die niederländischen Tagungen von einem Komitee vorbereitet werden und die Zeitschrift über eine Redaktion verfügt, ist es für alle, die mit der Sachlage ein wenig vertraut sind, völlig klar, dass Gerrit Neven in beiden Sachen schon seit vielen Jahren eine Schlüsselposition einnimmt. Und obwohl wir wussten, dass er sich am 5. Juni dieses Jahres als Kampener Professor für Dogmatik verabschieden würde, was es doch ein Schock, als er auf der 26. Tagung unangekündet mitteilte, dass er sofort seine Verantwortlichkeit für die Tagungen übertragen wollte, und das auch tatsächlich tat. Inzwischen ist der Schock wohl vorüber, und werden wir heute Abend die Zeit finden, uns von ihm zu verabschieden, wohlverstanden: uns von ihm in dieser Funktion zu verabschieden, denn wir hoffen ihn noch oft auch an Barth-Tagungen zu begegnen.

Inzwischen hat der Vorstand der Protestantischen Theologischen Universität beschlossen, die Unterstützung des Barth-Netzwerkes insgesamt – Barth-Tagungen, Zeitschrift für dialektische Theologie, Englischsprachichen Sonderhefte, Karl Barth-database usw. – jedenfalls bis Ende 2013 zu kontinuieren. Als der Mitarbeiter Gerrit Nevens, der sich am meisten mit der Barth-Forschung beschäftigt – Lehrauftrag: Dogmengeschichte und Symbolik –, und als einer, der nahezu von Anfang an diese Tagungen besucht hat, werde ich (vorläufig) für die Tagung zuständig sein. Dies ist der Grund, dass zum ersten Mal in vielen Jahren ich, und nicht Gerrit Neven, diese Einleitung versorgt.

Daneben werden wir bei einem zweiten Abschied verweilen müssen. Nach zehn Jahren sehr treuer Arbeit als Redaktionssekretär der Zeitschrift wird Marieke de Haan, nach der Beendigung ihres Studiums sowohl der Medizin wie der Theologie in einer neuen Umgebung eine neue Arbeit anfangen. Auch dazu wird später an diesem Tag mehr gesagt werden, aber wir müssen hier schon daran erinnern, wie beliebt sie sich sowohl bei den ständigen Besuchern dieser Tagungen wie auf dem Leuenberg gemacht hat! Glücklicherweise haben wir eine gute Nachfolgerin gefunden, Maren Mielke, die sich rasch mit Ihnen allen vertraut machen wird und die auch schon manche Ideen zur Verbesserung eingeschlichener Gewohnheiten geaüßert hat. Sie können das am Ende des Tages schon feststellen, wenn sie das Büchlein für die Andachten bei den Morgen- und Abendgebeten in ihren Händen bekommen.

Von den regelmäßigen Besuchern der Tagungen hat Gisela Strauss aus Herleshausen zu ihrem Bedauern absagen müssen, obschon sie bei der Vorbereitung des heutigen Abendprogramms eine wichtige Rolle gespielt hat. Gerne gekommen wäre At Polhuis, der Vorsitzende der Karl Barth Stiftung in den Niederlanden. Das Thema interessierte ihn sehr und er war neugierig, vielleicht auch ein bisschen argwöhnisch, nach den Resultaten. Das Komitee hat die Absicht, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit der Stiftung näher zu erkunden.

Die Anwesenheit einer großen Gruppe Studenten aus Jena freut uns sehr. Wir schämen uns, dass es uns als Mitglieder des Komitees nicht gelingt, aus unseren vier Universitäten einen ähnlichen Zulauf zu bewerkstelligen. Wahrscheinlich besagt dieses Faktum auch etwas über das Niveau des Unterrichts in der deutschen Sprache in unserem Lande. Aber wir hoffen, dass es nächstes Jahr besser sein wird.

Und so wünschen wir einander alle eine lehrreiche Tagung, im Betreiben einer vielleicht nonkonformistischen, aber sicherlich fröhlichen Wissenschaft.

Rinse Reeling Brouwer

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R.H. Reeling Brouwer

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