Susanne Hennecke, Der vergessene Schleier

S

Zu: Susanne Hennecke, Der vergessene Schleier. Ein theologisches Gespräch zwischen Luce Irigaray und Karl Barth, Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001, XIX + 298 S.

In dieser Studie (als Doktorarbeit an der Universität von Amsterdam verteidigt) handelt es sich nicht um den zum schon vielfach gemachten Vergleich eines anderen Denkens mit demjenigen Karl Barths im Interesse eines besseren Verständnisses des Letzteren. Vielmehr wird hier ein Text der Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray aus 1980, ‘La croyance même’ (übersetzt als: ‘Der Glaube selbst’), zum Ausgangspunkt einer sehr kritischen Anfrage an das christliche Glaubensbekenntnis genommen, wobei die Barthschen Texte die Funktion bekommen, dieses Bekenntnis zu verteidigen, oder: es sich für den guten Sinn dieser Anfrage öffnen zu lassen. Allerdings geschieht dies in der Vermutung, trotz oder gerade in seinem Patriarchalismus sei bei Barth einiges Gespür für ein ‘Denken der Differenz’, wie das bei der französischen Feministin auftritt, vorhanden.

Im Aufbau des Buches werden die sieben Bilder, von der Autorin im Text Irigarays gefunden, mit den drei Artikeln des Nizänums konfrontiert. Das erste Bild, eine Bearbeitung der Deutung Derridas einer von Freud beschriebenen Szene, stellt den Raum des Schöpfungsglaubens für Frauen in Frage. Der kleine Junge, der eine Holzspule durch einen Bettschleier fortwirft, um sie anschliessend wieder zurückzuziehen, verschafft sich auf dieser Weise eine solche Repräsentation der abwesenden und dann doch wieder anwesenden Mutter, dass er zugleich sich selbst  herrschaftlich in der symbolischen Ordnung der Väter einfugen kann, und die Frau entweder in einen himmlischen Nicht-Ort der Abwesenheit aszendieren, oder in den männlich strukturierten irdischen Ort der Anwesenheit deszendieren muss, so dass für sie in beiden Fällen kein wirklich eigener Ort übrigbleibt. Die nächsten drei Bilder sind Bilder der (von Iragaray für geschlechtslos gehaltenen) Engel, die als Gestalten des ‘Zwischenraums’ eine für Befreiung offene Zukunft vermitteln, und in soweit die Stelle einer Christologie innehalten. Am meisten schaffen die letzte drei Bilder der (in der Erde wurzelnden, in die Luft hinein sich entfaltenden, unaufhörlich, zweck- und sorglos erblühenden) Rose, des (umherziehenden, singenden, sich jenseits aller sagbaren Worte wagende) Dichters und des (auf die Zukünftigkeit Gottes wartenden) Propheten eine Perspektive auf eine andere – die sexuelle Differenz wahrende und auch wieder überschreitende – Organisation der Leiblichkeit, das heißt: auf den Heiligen Geist, die befreite Gemeinschaft, die Vergebung, die Auferstehung und das Leben.

Von den Angriffen Irigarays her sieht die Theologie sich nach der Meinung der Autorin jedenfalls zu zwei wichtigen Verschiebungen gezwungen: eine präsentische soll für eine eher eschatologische Christologie Raum machen, und die Pneumatologie soll eine Vorrangsstelle vor die Christologie bekommen (S. 33f.). Diese Vorschläge sind hier aber nicht zum erstenmal formuliert worden. Für mich betraf die größte theologische Ausforderung dieses Buches eher die Lehre von der Schöpfung. Wenn die ganze Geschichte auch für den Glauben mit einem Nicht-Ort (für Frauen) anfangen sollte, kannte die Befreiung keinen Anfang, nur einen Abgrund am Anfang, und hätte also eher ein gnostischer Mythos als die Saga des Genesis recht. Und wo gerät man, wenn man diese Konsequenzen ernst nimmt? Hier gibt es einiges neu zu durchdenken. Wir können aber davon versichert sein, dass wir von der Autorin noch viele durchdachte Beiträge zu erwarten haben.

Rinse Reeling Brouwer

About the author

R.H. Reeling Brouwer

Plaats een reactie