Sung Wook Chung, Admiration & Challenge. Karl Barth’s Theological Relationship with John Calvin

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Zu: Sung Wook Chung, Admiration & Challenge. Karl Barths Theological Relationship with John Calvin, New York 2002, 245 S. 

Die Notwendigkeit einer analytischen Übersicht des Verhältnisses Karl Barths zu Johannes Calvin während Barths ganzen theologischen Werdegangs besteht schon lange. Die Möglichkeit dazu war seit der Veröffentlichung der Göttinger Vorlesungen (1922) zur Theologie Calvins in 1993 (engl. Übersetzung 1995) gegeben. Sung Wook Chung (Bristol, Tennessee) hat nun diese Arbeit dankenswerterweise in Angriff genommen. 

In einem ersten Teil werden einige Phasen in Barths Begegnung mit Calvin skizziert: (I.) Das Interesse an Calvin wurde erweckt in den Jahren des Genfer Vikariats (auf Calvins Kanzel), durch die Belehrung durch Calvins Kommentare in der Safenwiler Predigtvorbereitung und die Entdeckung zentraler reformatorischen Einsichten beim Schreiben des zweiten Römerbriefes, (II.) die Vertiefung des Umgangs mit Calvin als reformierter Lehrer in den Jahren in Göttingen, (III.) und die Fortsetzung des Gespräches in den Zeiten der Münster und Bonner Lehrtätigkeit. Eine Würdigung der letzten Phase anhand der Vorträge und Artikel aus der Basler Zeit (Calvin-feier 1936 und 1964, Predigerseminar zum Genfer Katechismus 1940-1943 usw.) fehlt. Stattdessen analysiert Chung in einem zweiten Teil die Präsenz Calvins in der Kirchlichen Dogmatik anhand zweier thematischer Schwerpunkte: erstens (IV.) der für beide Theologen entscheidende Frage der Gotteserkenntnis, wo Barth mit Brunner über die richtige Calvininterpretation gestritten hat (Chung scheint da die Interpretation Brunners leicht zu bevorzugen), zweitens (V.) der Frage der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz; hier hat Barth in Calvin bekanntlich einen Bundesgenosse zu finden gemeint. Ein letzter Abschnitt zieht zurecht die Schlussfolgerung: der anti-moderne aber doch von der modernen Fragestellung geprägte Barth konnte die Lehre des “prämodernen” (weshalb eigentlich nicht: “frühmodernen”?) Calvins zwar in wichtigen Punkten nicht mehr einfach nachsprechen, hat aber doch sein ganzes Leben immer wieder wichtige Impulse von ihm empfangen und in dieser Hinsicht ein beispielhaftes Gespräch zwischen unterschiedenen theologischen Generationen geführt. 

Chung zeigt in dieser Studie durchaus seine theologische Meisterschaft: in seiner Kenntnis des Materials, in der sprachlichen und logischen Schärfe seiner Analyse, in der Bezugnahme auf die aktuelle Barthliteratur (McCormack – trotz der Kritik –, Webster; selbst die Konvergenzen mit dem ihm noch unbekannten neuen Buch Kees van der Koois wären hier zu nennen). Trotzdem halte ich die geleistete Arbeit für noch unvollständig. Ich nenne: 

I. Es ist zwar verständlich, aber unbefriedigend, dass der erste, historisch-genetische Teil 1935 aufhört und der zweite, der Kirchlichen Dogmatik gewidmete Teil, nur Ausschnitte behandelt. So fehlen z.B. wichtige Loci, wie die Wiederaufnahme der Frage der Gotteserkenntnis in der Anthropologie (KD III/2, 218ff.), die Heiligungslehre (KD IV/2, §66 im ganzen) und die Lehre der unio cum Christo (KD IV/3, 631 ff.). |87|

2. Obwohl Chung mit Recht betont, dass die Exkurse zu Calvin in der Kirchlichen Dogmatik eine Mischung von Bewunderung und Distanz zeigen, neigt er doch zu der Behauptung, Barth rufe immer wieder Calvin zu Hilfe um seine eigene Argumentation zu unterbauen (z.B. S. 147: “Barth makes an appreciative use of Calvin’s theological insights to make his own arguments more legitimate and valid”; S. 170: “Barth’s distinctive manner of utilizing Calvin’s thought for his own dogmatic purposes”). Hier wird von Barth selbst im Vorwort KD 1/1 (S. VII) im Hinblick auf die Verwendung von Zitaten in seinen Exkursen festgestellt, “dass diese Stimmen dasselbe gesagt hätten wie ich, meine ich nirgends” u.Ä.. Es gibt mehr “Zweistimmigkeit” in solchen Gesprächen als Chung den Lesern einsichtig macht und es wäre gut gewesen diese Zweistimmigkeit genauer zu analysieren (wie es in der niederländischen Dissertation Den Dulks 1987 vorbildlich geschehen ist). 

3. Verschiebungen im Barthschen Verständnis Calvins werden zwar oft signalisiert, aber nicht immer kritisch befragt. Was bedeutet es z.B., dass er in seiner religiös-sozialen Zeit das Reich Gottes bei Calvin für ein Reich auf Erden gehalten (S. 23), in Tambach 1919 hingegen die Jenseitigkeit des Reiches bei Calvin unterstrichen hat (S. 31), dass er in Göttingen 1922 die Dialektik zwischen Jenseitigkeit und Diesseitigkeit herausarbeitete und später wieder behauptete: “in der Behandlung der Eschatologie hat Calvin nicht immer eine durchweg glückliche Hand gehabt” (KD IV/1, 366)? Muss man da nicht kritisch fragen: welches der Barthschen Urteile der Calvinischen Eschatologie war nun eigentlich zutreffend? Fazit: Chung hat eine gute und nützliche Studie vorgelegt, es bleibt aber noch viel zu tun.


  • R.H. Reeling Brouwer, ‘Sung Wook Chung, Admiration & Challenge. Karl Barth’s Theological Relationship with John Calvin’; ZDTh 19/1 (2003), 86-7.

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R.H. Reeling Brouwer

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