Matthias Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie. Die Auseinandersetzungen mit Calvin, Zwingli und den reformierten Bekenntnisschriften während seiner Göttinger Lehrtätigkeit, Neukirchener Verlag 1996, 310 S.
Die Professur in Göttingen, zu der Karl Barth 1921 berufen wurde, war zu seiner eigenen Überraschung eine (mit Hilfe amerikanischer Presbyterianer neu errichtete) Honararstelle für reformierte Theologie. Obwohl Barth selber bis dahin sein theologisches Bemühen gar nicht als konfessionell ausgeprägt empfunden hatte, hat er trotzdem diesen seinen Lehrauftrag überaus ernst genommen. Das zeigte sich von Anfang an in seinem Vorlesungsprogramm, in dem er sich (neben den exegetischen Zyklen im Beiprogramm) zunächst mit Ausschnitten der reformierten Theologiegeschichte beschäftigte, bevor er es sich im Sommersemester 1924 getraute, eine eigene Dogmatik vorzulegen (diese übrigens dann auch wieder anhand eines Kompendiums der reformierten Scholastik dargestellt).
Es bedeutet einen sehr nützlichen Beitrag zur Barth-Forschung, wie Freudenberg es in seiner Dissertationsarbeit auf sich genommen hat, diesen Anfang der Barthschen Lehrtätigkeit sorgfaltig nachzuzeichnen. Wir erfahren detailliert von den Verhandlungen, die zu der Berufung geführt haben, von den finanziellen Schwierigkeiten mit denen die neue Stelle umgeben war, von den (nicht immer einfachen) Verhältnissen innerhalb der von einem lutherischen Übergewicht geprägten Göttinger Fakultät und von den (in den ersten Jahren ebensowenig nur glatt verlaufenen) Beziehungen Barths zu den (nordwest-) deutschen Reformierten. Der Hauptbestandteil der Studie aber ist einer Analyse der theologiegeschichtlichen Vorlesungen gewidmet: “Die Theologie Calvins” SS 1922, “Die Theologie Zwinglis” WS 1922/23 und “Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften” SS 1924 (wobei leider die Handschrift der ersten Vorlesungsreihe “Erklärung des Heidelberger Katechismus” WS 1921/22 noch nicht entziffert werden konnte, S. 13). Solang diese Manuskripte im Rahmen der Karl Barth-Gesamtausgabe noch nicht erschienen sind, sind gerade diese Exzerpte und Analysen aüßerst nützlich. Ein Vergleich der 1993 wohl schon herausgegebenen Calvin-Vorlesungen mit dem zweiten Kapitel des Freudenbergschen Buches weist seine Darstellung als zuverlässig an, zeigt aber selbstverständlich auch, daß eine solche Wiedergabe die spannende “erzählende” Diktion sowie den bemerkenswerten Sinn für das historische Detail der Texte Barths nie ersetzen kann. Im Zwingli-Kapitel wird der aus dem Barth-Thurneysen Briefwechsel schon bekannte Eindruck bestätigt, daß Barth offenbar anfänglich hoffte, seine deutschen Studenten (und gleichzeitig sich selber aufs neue) einen Zugang zu seinem ehemaligen religiösen Sozialismus |97| gewinnen zu lassen, in dieser Hoffnung aber im Laufe des Semesters immer mehr enttäuscht worden ist. In den Vorlesungen zu den reformierten Bekenntnisschriften fällt auf, wiesehr Karl Barth der Fülle des in der bekannten Sammlung E.F.K. Müllers beinhalteten Materials gerecht zu werden versuchte (auf Kosten der Einzeluntersuchungen), obwohl letztendlich insbesondere die Katechismen von Genf und Heidelberg sowie die Confessio Scotica von Barth speziell bewertet werden – diejenigen Texte, denen er dann auch in den späteren Jahren (resp. 1935/40-43, 1938/1947, 1937-38) seinen Kommentar widmen wird.
Zum Schluß sei noch bemerkt, daß die Studie Freudenbergs nicht nur ein neues Licht auf die schon lang bekannten Vorträge und Aufsätze Barths aus den Jahren 1922-25 wirft, sondern zugleich auch auf die Anfänge seines Bemühens um die rechte doctrina, welches zur (Vor)geschichte der Kirchlichen Dogmatik gehört. Diese Geschichte kann zwar vorläufig, bei zuvielen noch fehlenden Quellenausgaben, nicht geschrieben werden. Aber die Bausteine dazu häufen sich auf.
R.H. Reeling Brouwer, M. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie; ZDTh 13/1 (1997), 96-7.