‘Compassion is calling’, Woltersburger Mühle, 13. August 2021. Rinse Reeling Brouwer
Ich grüße sie alle zusammen herzlich aus Amsterdam, jetzt auch aus Zierikzee, Seeland,
Niederländer Surinamischer oder Karaibischer Herkunft haben schon seit vielen Jahren darauf gedrängt, aber erst in der letzten Zeit wird sie im Ganzen der niederländischen Gesellschaft als unumgänglich erfahren: die Aufarbeitung der Geschichte der von den Niederlanden während fast vier Jahrhunderten intensiv organisierten Sklaverei sowohl im sogenannten Ost-Indien (jetzt Indonesien) wie auch im (vom transatlantischen Handel Afrikanischer zu Sklaven gemachter Menschen abhängigen) West-Indien.
Wir verfügen jetzt über genaue Untersuchungen immer mehr lokaler Verhältnisse. In Amsterdam z.B. (Abb. 1) hat die Stadtverwaltung, die Co-Besitzer und Verwalter der Surinamischen Kolonie war, daran verdient, nicht nur als Kollektiv, sondern auch in ihren individuellen Mitgliedern. Die Häuser an den ‚Grachten‘ zeugen davon, auch in den Ziegel an ihren Fassaden. Im 18. Jahrhundert produzierte die Sklavenarbeit in den Plantagen 40% der Wachstumsraten. Und fast alle Bürger, die ökonomisch partizipierten, haben mitprofitiert.
Auch die Seefahrt in Seeland hat sich unternehmungslustig gezeigt. Dennoch war auch sie nicht im Stande alles unter Kontrolle zu halten. Davon erzählt die Widerwärtigkeit 1795 des Schiffes Neptuns aus Zierikzee, mit einem Kapitän, der in der internationalen Konkurrenz nicht imstande war, die besten und die meisten schwarzen Inländer der Goldküste (jetzt Ghana) zu erwerben, und deshalb während vieler Monate hunderten davon meinte bergen zu müssen, anfänglich in äußerst dunklen und klammen Kellern, danach in ähnlichen Schiffsräumen (Abb. 2). Darauf wurden die Gefangenen dermaßen verzweifelt, dass ihnen nur eine Möglichkeit blieb: das Schiff mit dem dort anwesenden Pulver zu sprengen. Nichtsdestoweniger hat der Kapitän nachher noch acht Sklaven in Surinam verkaufen können.
Im Reichsmuseum zu Amsterdam gibt es jetzt endlich eine Ausstellung Slavernij, die auf gründlicher, neuer Forschung beruht. Es kam heraus, dass viele Objekte der eigenen Sammlung von einer völlig neuen Perspektive her besehen werden müssten. Dem Statthalter Wilhelm IV wurde 1749 als neuem Verwalter der West-Indischen Kompagnie eine Kiste geschenkt, die im Katalog nur als ‚schönes Rokoko‘ angeführt wurde (Abb. 3). Erst jetzt sah man, dass der Handel in Elfenbein, Gold und Menschen darauf abgebildet war!
Sehr stolz was das Museum und war auch die Regierung, als 2016 Rembrandts Porträt des Brautpaars Martin und Oopjen (Abb. 4) gemeinsam mit dem Französischen Staat erworben werden konnte. Erst danach fragte man, wie die junge Braut schon 1634 so reich geschmückt sein konnte. Es kam heraus, dass ihr Vater eine Raffinerie in der Stadt besaß, die Zucker von den von Johann Maurits von Nassau gewirtschafteten Niederländisch-Brasilianischen Sklaven-Plantagen verarbeitete.
Und dann zeigte sich auch, dass eiserne Halsbände, die als für Hunde gemeint katalogisiert waren, sich faktisch um alle Hälse der häufig gemalten schwarzer Diener der holländischen Reichen fanden (Abb. 5). Sie hatten dieselbe Funktion wie der althebräische ‚Priem im Ohr‘, der einen Sklave als fest an seinem Meister gebunden zeigte (Abb. 6). Siehe Exodus 21, 6: anfänglich sieht es dort so aus, als ob ein Verschuldeter Mitbürger nach sechsjähriger Arbeit wieder frei weggehen kann, ohne dafür zahlen zu müssen. Aber dann kommt heraus, dass wenn sein Meister ihm eine Frau gegeben hat, und der Diener sie behalten will, er faktisch zu weiterer Knechtschaft und bleibender Sklaverei erpresst wird. Die Tora hat klare Prinzipien (Freilassung!), aber in ihren Konzessionen kann sie ziemlich weit gehen.
Und sodann müssen wir fragen: haben die reformierten Christen in der Republik der Vereinten Niederlanden noch etwas von den Prinzipien der Tora gewusst? Leider muss man sagen: im Anfang: ja, aber schon rasch hatten die Konzessionen eine zu große Anziehungskraft. Wir kennen einstweilig nur wenige Ausnahmen. Dazu ist Bernardus Smytegelt zu rechnen (1739 gestorben), ein berühmter pietistisch-reformierten Pfarrer zu Middelburg, hier in Seeland (Abb. 7). Nicht nur korrigierte er immer wieder die religiösen Exzesse seiner Glaubensgenossen, er klagte auch die auf ihren Reichtum stolzen Regenten an. Und von ihm ist in eine nachgelassene Predigt publiziert, in der er das achte Gebot – ‚Stiehl nicht! – nachdrücklich als Verbot des Handels mit Menschen erklärt. Davon, sagt er, gibt es viele Gestalten: ein Bettler stiehlt ein Kind, für ihn Geld zu erwerben; Mönche verlocken zum eigenen Nutzen schöne Kinder im Kloster zu leben usw. Aber die schlimmste Gestalt ist wohl die Sklavenhandel. Wie Joseph im Buche Genesis, der von seinen Brüdern verkauft wurde (Abb. 8), es sagte: ‚gestohlen, gestohlen bin ich aus dem Land der Ebräer‘ (Gen. 40, 15, Übers. Martin Buber; in der Staatenübersetzung heißt es: ‚ik ben diefelijk ontstolen uit der Hebreëen land‘; vergl. Gen. 37, 27-28). Zitat: ‚Diese Art der Dieberei ist eine grobe und schreckliche Sünde, wo Menschen verkauft, verschleppt und sogar ermordet werden. Das Gesetz sagt: „Wer einen Menschen stiehlt, sei es, dass er ihn verkauft, sei es, dass er in seiner Gewalt gefunden wird, sterben muss er, sterben“ (Ex. 21, 16). Es ist doch richtig traurig, dass Christen davon gerade ihre negotie (ihr Handel) gemacht haben‘. Diese Traurigkeit soll uns im Gedächtnis bleiben, aber auch zu der Arbeit an neuen Verhältnissen antreiben.
Dazu segne und behüte uns Gott, der Schöpfer, der Versöhner und der Befreier, Amen.