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Erzählendes Denken bei K.H. Miskotte: Lehre im offenen Raum.

1. Zur Einleitung: eine theologiegeschichtliche Problemskizze

Im Hinblick auf die Entwicklung einer Fragestellung, anhand welcher einige Aspekte der Theologie K.H. Miskottes im Rahmen dieser Tagung dargestellt werden können, seien erst einige Lesefrüchte aus der Geschichte der Theologie (meinem Lehrauftrag) gepflückt: wie haben inmitten der Kirchenväter Augustin, inmitten der mittelalterlichen Scholastiker Bonaventura und inmitten der Reformatoren Melanchthon von historia – Geschichte, aber auch: Bericht einer Geschichte – geredet?

1.1. Augustin

In 390, drei Jahre nach seiner ‚Bekehrung’, löst der ehemalige Rhetor, jetzt Mitglied einer Lebens- und Forschungsgemeinschaft in Thagaste, sein Versprechen an seinen Gönner Romanianus ein, der seinen Übertritt zur katholischen Kirche (noch) nicht nachvollziehen konnte, deren Gründe näher zu erklären. In dieser Schrift De vera religione ist die platonische Sehnsucht vorausgesetzt: die Seele begehrt der stabilen Erkenntnis teilhaftig zu sein:

‚Geh nicht nach draussen, kehr wieder ein bei dir selbst! Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit. Und wenn du deine Natur noch wandelbar findest, so schreite über dich selbst hinaus!’[1]

Aber nun hat Gott in seinem unendlichen Erbarmen nicht nur das intellectum den Vernünftigen als Heilmittel angeboten:

‚Es sind zwei verschiedene Heilmittel, die aufeinanderfolgend zur Anwendung kommen müssen, nämlich Autorität und Vernunft. Die Autorität verlangt Glauben und bereitet den Menschen auf die Vernunft vor. Die Vernunft führt zur Einsicht und Erkenntnis.’[2]

Nicht nur werden auf diesem Weg viele, und nicht nur die intelligenten Leute, genesen, auch wird der Stolz derjenigen gebrochen, die von sich aus sehr wohl die Wahrheit zu verstehen meinen. Dies ist die christliche Wende, die der Platonismus hier nimmt:

‚Denn also geschah es durch die zeitliche Veranstaltung zu unserem Heil, dass Gottes Kraft und unwandelbare Weisheit, wesensgleich und gleich ewig dem Vater, sich herabliess, menschliche Natur anzunehmen, um uns durch sie zu belehren, dass auch der Mensch dasselbe verehren soll, was von aller geistigen und vernünftigen Kreatur verehrt werden muss.’[3]

Die ewige Weisheit hat eine zeitliche Gestalt angenommen. Also sollen wir demütig diesen Gang in die Zeitlichkeit folgen:

‚Wie er (Gott) mit dem Menschengeschlecht verfährt, das sollen nach seinem Willen Geschichte (historia) und Weissagung (prophetia) kundmachen. Handelt es sich um zeitliche Dinge, sei es vergangene, sei es zukünftige, so ist man mehr auf Glauben als auf Einsicht angewiesen.’[4]

Wegen der Zeitlichkeit gibt es historia, und historia gibt es nun einmal in der göttlichen Schrift, wieviel Abneigung man dafür als antiker Intellektueller – der junge Augustin nicht ausgenommen – auch empfinden mag. Und diese historia, namentlich die des Alten Testamentes, ist zugleich prophetia, d.h. sie weist über sichselbst hinaus in die Zukunft der Wahrheit.[5] Damit ist auch gesagt, das die historia eine bestimmte Stufe in der Geschichte des Menschengeschlechts vertritt, und zwar die erste, puerile Stufe.[6] Sie ist dazu bestimmt, letztendlich in der richtigen Einsicht aufgehoben zu werden, so wie das Leben in der Zeit vom ewigen Leben abgelöst werden wird.

Damit ist eine sehr bestimmte Spannung im Verhältnis von fides und intellectum gegeben. Man hat in diesem frühen Traktat den Eindruck, das intellectum sei das Eigentliche, die fides nur eine Notmassnahme. Das intellectum hat dann auch eine relative Selbständigkeit der fides gegenüber, obwohl es der Hochmut der Philosophen ist, bei ihr anfangen zu wollen, und obwohl auch die fides eine ihr eigene Art des Begriffs kennt.[7] Aber die ‚geschichtliche’ Form, welche die fides annimmt, ist doch eine vorläufige, und nicht die Sache selbst.

Als kirchlicher Würdenträger hat Augustin später auch anders geredet. Vor allem in seiner grossen apologetischen Schrift vom Gottesstaat haben die Nacherzählungen und Erklärungen von historia et prophetia eine viel breitere Gestalt gewonnen (manchmal auch wohl auf Kosten der intellektuellen Selbstbefragung, welche die früheren Schriften kennzeichnet). Damit ist aber nicht gesagt, dass die Fragen, die man auf den ersten Blick im augustinischen Reden von der ‚Geschichte’ in der Schrift De vera religione aufwerfen kann, dort völlig unangebracht wären. 

1.2. Bonaventura

In seinem 40. Lebensjahr (1257), kurz bevor er zum General Obersten seines Franziskaner Ordens gewählt wird, schenkt Bonaventura als magister cathedratus der Pariser Universität seinen Studenten eine kurze Einführung in die Theologie, das Breviloquium.[8] Theologie ist in erster Instanz das Wort, das Gott selbst von sich selbst redet: die heilige Schrift, und weiter dasjenige was patres und doctores zur Erklärung und zur Durchdenkung der Schrift gesagt haben. Der Prologus erklärt zuerst, anhand von Eph. 3:14-19, wie alle Dimensionen des Kosmos im Kosmos der Schrift inbegriffen sind.[9]

Von da aus spricht er dann von der Methodologie jeder Theologie, deren Subjekt Gott selber ist (de modo procedendi ipsius Sacrae Scripturae, § 5). Hier versucht Bonaventura, das augustinische Programm nach den Forderungen des aristotelischen Wisschenschaftsbegriffs seines Jahrhunderts neu zu formulieren. In der multiformitas der Schrift, so heisst es, gibt es doch ein gemeinsames Merkmal: wo die Schrift spricht, spricht sie mit Autorität (modo authentico, Prol. 5.1.). Dieses wird folgendermassen erklärt:

‚2. Weil diese Lehre zum Ziel hat, dass wir gute Menschen werden[10] und gerettet werden, und dieses Ziel nicht durch rein vernünftige Überlegungen, sondern vielmehr durch die Geneigtheit des Willens erreicht wird, musste die göttliche Schrift auf solcher Weise überliefert werden, dass diese Geneigtheit bei uns verstärkt werden könnte. Und weil das Gemüt mehr durch Vorbilder (exempla) als durch Argumente (argumenta), mehr durch Verheissungen (promissiones) als durch Beweisführungen (ratiocinationes), mehr durch Gottesfurcht (devotiones) als durch Definitionen (definitiones) erregt wird, deshalb musste die Schrift nicht die definierende, analysierende und konkludierende Form (modum definitivum, divisivum et collectivum) zur Bezeichnung bestimmter Beschaffenheiten eines Gegenstandes anzunehmen, wie das in anderen Wissenschaften geschieht. Sie brauchte ihre eigene Formen (modos proprios), je nach der Beeinflussung des Inneren durch verschiedene Gemütserregungen auf verschiedenen Weisen: so dass, wenn jemand nicht von Geboten und Verboten (praecepta et prohibita) erregt würde, er mindestens durch erzählte Vorbilder (per exempla narrata), und wenn nicht dadurch, er durch weise Mahnungen (monitiones), durch wahrhaftiche Verheissungen (promissiones), durch schreckliche Androhungen (comminationes) erregt würde, damit er jedenfalls so zur Gottesfurcht und zum Gotteslob angespornt sei. (…)’

Diese fast analytisch-sprachphilosophische Feststellung nach den Regeln der antiken Rhetorik könnte aber im Vergleich mit der Philosophie eine Minderwertigkeit der Theologie suggerieren. Das sei aber ferne!

,3. Weil diese erzählende Formen (modi narrativi – sc. der Schrift) keine argumentative Gewissheit (certitudo) bieten können, da partikulare Geschehnisse keinen Beweis gestatten,[11], deshalb versah Gott, um vorzubeugen dass die Schrift wankend sein würde und dadurch die Leute nicht erregen würde, sie  mit einer Gewissheit der Autorität (certitudo auctoritatis) statt mit einer der Argumentation (certitudo rationis). Diese Gewissheit ist dermassen gross, dass sie jeden Scharfsinn der menschlichen Vernunft übersteigt.’

Anschliessend bietet Bonaventura noch einen Syllogismus:[12] Autorität kann keine Gewissheit bieten, wenn das sie tragende Subjekt selbst betrügen oder betrogen werden kann; Gott oder der heilige Geist ist aber untrüglich; also ist die heilige Schrift nicht von einer menschlichen Überlieferung her entstanden, aber hat sie die göttliche Offenbarung als Ursache. Anders als in bestimmten Zweigen der heutigen sog. ‚narrativen Theologie’ ist im dreizehnten Jahrhundert die Einsicht in die Narrativität der Bibel also keine rein literaturwissenschaftliche Feststellung, sondern eng verknüpft mit ihrer Charakterisierung als ‚von der Offenbarung überliefert’.

1.3. Melanchthon

Wie Bonaventura befasst sich auch Philippus Melanchthon mit der Frage des Unterschieds zwischen der theologischen und der philosophischen Methode, und zwar in den praefationes der späteren Fassungen seiner Loci Communes. Nur, dass er, wenn er methodum sagt, die Ratio oder Methodenlehre des Erasmus vor Augen hat[13] und sich also in wissenschaft-geschichtlicher Hinsicht in der Atmosphäre der humanistischen Philologie bewegt. Das Ergebnis lautet im 16. Jahrhundert aber nicht sehr viel anders als im 13. Jahrhundert. So heisst es in der praefatio der dritten Fassung (‚aetas’) der loci (1543-1559):[14]

‚Die Menschen sind von Gott dergestalt geschaffen, dass sie Zahlen und Ordnung[15] verstehen und in ihren Lernprozessen von beiden – d.h. von den Zahlen und von der Ordnung – sehr geholfen werden. Deshalb pflegt man im wissenschaftlichen Unterricht (in artibus tradendis) mit besonderer Sorgfalt die Reihenfolge der Teile (ordo partium) zu bezeichnen und Anfangspunkte, Fortschritte und Endungen anzugeben. Diese Erklärungsweise nennt man in der Philosophie Methode, aber diese ist in den Wissenschaften, die nach Beweisführungen angeordnet sind, anders als in der Lehre (doctrina) der Kirche eingerichtet. Denn die Methode der Beweisführung (demonstrativa methodus) geht von den Sachen aus, die den Sinnen unterworfen sind, und von den ersten Begriffen, die Prinzipien (principia) genannt werden. In der Lehre der Kirche wird zwar auch einer Ordnung nachgestrebt, aber nicht nach dieser Methode der Beweisführung. Denn diese Lehre der Kirche wird nicht den Beweisen entnommen, sondern den Worten, die Gott mit gewissen und vorzüglichen Zeugnissen dem menschlichen Geschlecht überliefert hat (ex dictis, quae Deus certis et illustribus testimoniis tradidit generi humano), durch welche er aufgrund seiner unermesslichen Güte sich selbst und seinen Willen offenbart hat.’

Und einige Absätze weiter heisst es dann:

‚Nun muss einiges zur Reihenfolge der Teile der Lehre (de ordine partium doctrinae) gesagt werden. Die Bücher der Propheten und Apostel sind selber in der best möglichsten Ordnung geschrieben und sie haben die Glaubensartikel in geeignetester Weise wiedergegeben, gibt es doch eine historische Linie (historica series) in den prophetischen und apostolischen Büchern…’.

Darauf folgt eine Skizze des Verlaufs der Geschehnisse von der Schöpfung bis zum Korpus der apostolischen Epistel. Immer wieder gab es, von Adams Zeiten an, Erneuerungen der Kirche, und immer wieder liess Gott einen Lehrer aufstehen wie Martin Luther mit der Predigt von Gesetz und Evangelium. An sich ist diese Reihenfolge – die Reihenfolge des Apostolischen Symbolums – keine andere als die der Bücher 11-22 des Gottesstaates Augustins. Und doch gibt es einen Unterschied im Gewicht der historia zwischen Augustinus und Bonaventura einerseits und Melanchthon andererseits. Bei den ersten war sie in einen kosmologischen und metaphysischen Rahmen eingebettet. Jede Geschichte war einerseits nur Geschichte, und hatte andererseits auch eine prophetische und allegorische Dimension, womit sie über sich selbst hinaus wies. Bei Melanchthon aber, in seiner biblischen Konzentration, musste die biblische Geschichte ohne diese Stütze der Kosmologie und der Metaphysik auskommen. Sie ist völlig auf eigene Kraft angewiesen. Damit muss die historica series des biblischen (in der Reihenfolge der Bücher: Alexandrinischen) Kanons, als Information über den Verlauf der Weltgeschichte, Träger der Zuverlässigkeit der Bibel sein. Aber was ist, wenn die historische Kritik, aufgrund anderer Informationen, diese Zuverlässigkeit in Frage stellt? Kommt damit dann auch die Autorität der Schrift in Wegfall?

1.4. Fazit

Drei Fragenkomplexe hinterlässt uns diese theologiegeschichtliche Skizze zum Stellenwert der historia:

1. Wie steht es mit der zeitlichen Form der historia? Ist sie eigentlich ein pudendum, dazu bestimmt aufgehoben zu werden? (Augustin)

2. In der klassischen Theologie sind die historiae der Bibel immer mit ihrer auctoritas  verknüpft gewesen (Augustin, Bonaventura, Melanchthon). Lässt sich das halten?

3. Die Bibel wurde in ihrer historica series (Melanchthon) als Buch der Information zur Heilsgeschichte und damit zugleich auch der Weltgeschichte gelesen. Was passiert nun, wenn in der Neuzeit diese beiden Funktionen auseinander geraten?

2. ‚Erzählende Philosophie’ (Rosenzweig, Miskotte)

Der 34-jährige niederländische Pfarrer Kornelis Heiko Miskotte sah 1928 in einer Vitrine der Verleger der jüdischen Gemeinden auf der Pressa zu Köln das damals fast noch völlig unbekannte Buch Der Stern der Erlösung des nur kurz danach jung verstorbenen jüdischen Denkers Franz Rosenzweig. Gleich bei der Lesung im Pfarrhaus zu Meppel muss er in diesem Buch ein tiefes Wiedererkennen der Fragestellung empfunden, und einen Gesprächspartner für sein ganzes Leben sowie eine richtungweisende Anregung für die eigene (im weitesten Sinn) ‚theologische’ Existenz gefunden haben.[16] Ich bin davon überzeugt, dass es Rosenzweig war, der ihm die Instrumente verschafft hat, um die eigenen Intuitionen zur Bedeutung des Erzählens für die Theologie zu durchdenken.

In diesem Paragraphen wird nun zuerst skizziert, was der Einsatz der ‚Erzählenden Philosophie’ Rosenzweigs, von der Rezeption Miskottes her gesehen,[17] beinhaltet, und danach deren Verarbeitung durch Miskotte selber angedeutet.

2.1. Was Miskotte bei Rosenzweig gefunden hat

Wenn wir unsere drei Fragen der Einleitung wieder aufnehmen, dann finden wir bei Rosenzweig in allen drei Bereichen klare Positionen und eine klare Wegweisung vor.

2.1.1. Die zeitliche Form der Erzählung

In einem Zeitschriftartikel mit dem (Miskotte sagt: ‚herausfordernden und wehrlosen’[18]) Titel ‚Das neue Denken’, 1926 erschienen,  gibt Rosenzweig nachträglich Rechenschaft über den Stern der Erlösung – ein Buch, das er ohne Vorwort herausgegeben hat und auch weiterhin ohne Vorwort der Welt preisgeben will. Nachdem er beschrieben hat, wie er im ersten Band auf die alte philosophische Frage nach dem Prinzip von Gott, Welt und Mensch eingegangen ist, indem er die Elemente (Gott, Welt, Mensch) auseinander hält, kommt er auf die Methode des zweiten Bands zu sprechen. Denn die durch Hellas herübergereichten Dinge werden erst erfahren, wenn etwas mit ihnen geschieht, wenn sie als Personen in einem Drama auftreten. Und davon wird jetzt die Rede sein: ‚Eine erzählende Philosophie hat Schelling in der Vorrede seines genialen Fragments „Die Weltalter“ geweissagt. Der zweite Band versucht sie zu geben.’[19]

Fr.W.J. Schelling[20] hatte seinen eigenen identitätsphilosophischen Ansatz hinter sich gelassen, wie auch die (Fichtesche, und eigene) Bindung der Freiheit an das Absolute, und hatte die Entdeckung gemacht, dass Gott in seiner Freiheit den dunklen Grund in der ewigen Natur überwindet und damit das Dunkel zur Vergangenheit macht. Rosenzweig war schon früh von dieser Denkfigur beeindruckt. Es ist wohl wahr, dass diese merkwürdige Stimme im deutschen Idealismus sich dabei kaum ein erneuertes Christentum, und sicherlich kein Judentum gedacht hat, sondern eine neue Religion, mit einer Mischung von neu zu bildender heidnischer Mythologie und Offenbarung. Aber Rosenzweig hat bei ihm zu seiner Freude dieses gefunden, dass ‚Gott nicht ist, sondern nur sein wird’, das heisst ‚den Begriff Gottes als eines ewig nur Werdenden’.[21] Miskotte sagt dazu: ‚Durch diese Lehre der Natur und der Freiheit in Gott ist Schelling in die Tiefe dessen, was wir „Geschehen“ nennen, gekommen; die Geschichte ist wieder zum Feld der nicht nur kulturellen, nicht nur existentiellen, sondern der ewigen Entscheidungen geworden.[22] Es ist wohl richtig, dass Schelling manchmal zu ungeschützt von einem „Werden Gottes in den Weltaltern“ redet, aber die Tendenz ist doch, die Welt als einen Moment des göttlich-tatsächlichen Leben Gottes zu verstehen. So ist das Änigma der Zeit (…) das Tor zu einer Welt des Lichts und der Dauer, der Sinngebung und der Humanität.’[23] Und bei seiner eigenen Schelling-Lektüre bemerkt Miskotte: ‚Gott macht das Dunkel zur Vergangenheit. Kann dies noch Philosophie heissen? Müsste die Theologie dieses Thema nicht aufgreifen, aber das Dunkle in der Welt lassen und beschränken, wie Rahab, wie Lifjathan?’[24]

Die Zeit als ein Tor zu einer Welt des Lichts. Also soll die Philosophie sich der Zeitform nicht schämen. Der Bericht einer Geschichte ist nicht, wie bei Augustin und, in den Augen Schellings, bei seinen idealistischen Genossen eine Konzession des Denkens, eine notwendig zu tragende Unzulänglichkeit, sondern das Denken muss selber diese Form annehmen. ‚Was heisst denn Erzählen?’, fragt Rosenzweig. ‚Wer erzählt, will nicht sagen, wie es „eigentlich“ gewesen, sondern wie es wirklich zugegangen ist.[25] (…) Der Erzähler will nie zeigen, dass es eigentlich ganz anders war (…), sondern er will zeigen, wie das und das, was als Begriff und Name in aller Mund ist (…), eigentlich geschehen ist. Auch ihm löst sich da etwas bloss Wesenhaftes, ein Name, ein Begriff, auf, aber nicht in ein andres ebenso nur Wesenhaftes, sondern in seine eigene Wirklichkeit, genauer seine eigene Verwirklichung. Ist-Sätze wird er überhaupt kaum bilden, selbst War-Sätze (…) höchstens zu Anfang [‚das Eswareinmal, mit welchem alle Märchen anfangen, aber eben nur anfangen’]; Substantive, also Substanzworte, gehen in eine Erzählung zwar ein, aber das Interesse liegt nicht auf ihnen, sondern auf dem Verbum, dem Zeit-Wort.’ ‚Die Zeit nämlich wird ihm ganz wirklich. Nicht in ihr geschieht, was geschieht, sondern sie, sie selber geschieht.’[26] ,Wenn etwa das alte Denken sich das Problem stellte, ob Gott transzendent oder immanent sei, so versucht das neue zu sagen, wie und wann er aus dem fernen zum nahen Gott wird und wieder aus dem nahen zum fernen.’ ‚Sie (die neue Philosophie) lehrt, mit Goethe zu sprechen, das „Verstehen zur rechten Zeit“.’[27]

Im Mittelteil des Sterns ist darum auch ‚die Reihenfolge nicht bloss wichtig, sondern sie ist das eigentlich Wichtige, was mitgeteilt werden soll.’ Schöpfung – Offenbarung – Erlösung:[28] so muss man es sagen – und das letzte Glied, die Erlösung als Vollendung der Schöpfung, gehört zu dieser Erzählung, auch wenn sie kaum erzählbar ist, und ist jedenfalls nicht ihre Aufhebung – wie man bei Augustin vermuten könnte. Die historia ist hier die Sache selbst – und wieder bekommt man beim jungen Augustin einen anderen Eindruck. Miskotte sagt dazu: in dieser Erzählung werden die gegebenen Elemente des ersten Bandes benannt und in einer gegebenen Beziehung verbunden, und so werden die Zeiten überflügelt, die Räume integriert und erst jetzt die Wohnung der Erde wirklich bewohnbar gemacht: viele kleine Erzählungen finden ihren Platz in ihr, in dieser – Miskotte, unwissend von der späteren Kritik Lyotards, suggeriert: – grossen Erzählung.[29]

2.1.2. Die auctoritas der Schrift und die auctoritas der Gemeinde

In der Einleitung zum zweiten Band des Stern der Erlösung – ,Über dieMöglichkeit das Wunder zu erleben’ – distanziert Rosenzweig sich scharf von der ‚alten’ Theologie, die ‚seit ihrer Wendung vor rund hundert Jahren versucht hatte, ohne auctoritas zu leben’.[30] ‚Denn die „historische Theologie“ galt ihr als die Polizeitruppe gegen Angriffe, die ihrem lebendigen Gegenwartsbewusstsein etwa aus der „toten Vergangenheit“ des verbum scriptum oder auch der ecclesia visibilis drohten; aber nicht als positive, erkenntnismässige Begründerin ihrer Wahrheit, nicht als auctoritas’. Das heisst: sie sah vielleicht wohl richtig, wie bei Augustin die Autorität immer mit der Macht der Kirche verknüpft (und von der Philosophie umgeben) war, und wie in der Reformation mit einer Berufung auf die ‚historica series’ des Kanons eine ähnliche Macht (von der „Obrigkeit“ umgeben) ausgeübt wurde, aber sie war der Machtausübung ihres eigenen Historismus gegenüber völlig verblendet. ‚Aber das Wichtigere, die Grundlage einer auctoritas, glaubte sie sich sparen zu können. So schwebte sie in der Luft. Denn eifersüchtig wachte sie über die reine Gegenwärtigkeit des Erlebens; vor jeder Berührung mit dem harten, wohlgegründeten Erdreich der Wahrheit und gegenständlicher Wirklichkeit musste sie beschützt werden.’ Die Folge: sie hatte wohl ein Ideal, aber der Wirklichkeit des Erzählten entzog sie sich.[31] Deshalb trägt der zweite Band, wie Miskotte sagt: ‚das Motto, die Losung, den Kampfruf’:[32] in theologos![33] Positiv besagt Rosenzweig mit dieser seiner Kritik noch einmal, was von ihm mit der ‚erzählenden Philosophie’ des zweiten Bandes gemeint ist, nämlich, nachdem die ‚nicht konstitutive auctoritas der Geschichte’ zusammengebrochen ist, ‚sehnsüchtig Ausschau zu halten’ nach der echten, zu ihrer neuen Form passenden auctoritas: das echte Wunder.[34] Denn die richtige Erzählung rechnet mit der Wirklichkeit und der Wahrheit desjenigen, was zu erwarten ist. Und deshalb ist die Gewissheit – die, wie wir sahen, bei Bonaventura und Melanchthon als certitudo mit der auctoritas verbunden war – weniger mit der reinen Gegenwart des Erlebens verknüpft (wie die ‚liberalen’ Theologen des 19. Jahrhundert meinten), als vielmehr mit dem Harren, dass ‚das Reich des Edlen endlich komme’.[35]

2.1.3. Die biblische Erzählung und die Frage der Historizität (oder: ‚story’ and ‚history’)

In bestimmter Hinsicht, so hörten wir, ist die Reihenfolge Schöpfung – Offenbarung – Erlösung eine notwendige historica series. Aber sie ist es, wegen der ,Grammatik’ des Wortes, das die Zeiten und die Gezeiten ordnet,[36] vielleicht auch wegen einer Korrespondenz mit dem Rhythmus des menschlichen Herzens, sie ist es nicht aufgrund einer Korrespondenz mit einer Tatsächlichkeit quasi ausserhalb des Wortes.[37] In der von Martin Buber zusammengestellten Textsammlung ‚Die Schrift und ihre Verdeutschung’ (1936) findet man verschiedene literarische Beobachtungen, die Rosenzweig während der mit Buber gemeinsam unternommenen Arbeit der Bibelübersetzung gemacht hat, und die dem ‚erzählenden Denken’ im Stern der Erlösung wirklich etwas neues hinzufügen. Es handelt sich dabei zum Beispiel um die äusserst wichtige Tatsache, dass der Text zum Vorlesen bestimmt ist und dann auch wie zum Vorlesen wiedergegeben werden soll.[38] Oder es geht um die Frage: ‚wann erzählt man?’ Die Antwort: ‚wenn etwas geschehen ist;’ ,der Erzähler muss den Hörer in eine Vergangenheit versetzen, deren unmittelbare Vorvergangenheit das Erzählte ist. Der Hörer muss so zuhören, als ob das Erzählte nicht irgendein Vergangenes wäre, sondern das Vergangene, das ihn eben gegenwärtig angeht.’[39] Oder es handelt sich um ‚das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen’, wobei diese Erzählungsart immer eine Pointe, eine Spitze hat, und diese Spitze ist beim Beobachten der ‚Stichwörter’ aufzuspüren.[40] Diese Entdeckung der ‚Stichwörter’ hat Miskotte wohl für sichselbst übernommen, meistens aber weniger auf der narrativen,[41] eher auf der ‚phänomenologischen’ Ebene (siehe unten). Aber in den Kreisen seiner Schüler hat sie zu vielen exegetischen Spezialarbeiten inspiriert.[42]

2.2. Die Bedeutung des biblischen Erzählens bei Miskotte

Von einem ‚erzählenden Denken Miskottes’ zu reden, hätte zur Voraussetzung, dass der Theologe Miskotte zunächst ein Denker sei. Aber was ist ein Denker? Das ist schon bei Rosenzweig nicht so einfach zu sagen. Dieser ist zwar ein grosser und origineller Denker, aber zugleich betont er in seinem ‚Denken’ immer (gegen den Idealismus), dass die Sprache, d.h. das gesprochene Wort,  dem Denken voran geht, es weckt, es anregt, und dass vor allem in der Schrift das ‚Gespräch’ zwischen Gott und Mensch im Rahmen des Bundes bestimmte Denkformen mit sich bringt.[43]Aber, wie hat Miskotte selbst sich verstanden?[44] Sein letztes grosses Buch, Wenn die Götter schweigen, hat er, wie er sagt, geschrieben im Hinblick auf ,Zeugnis und Interpretation’, und das heisst konkret: für diejenigen,[45] die als ‚Interpreten und Zeugen’ (in dieser umgekehrten Reihenfolge) dieses ‚interpretieren und bezeugen’ in ihre kerygmatische und didaktische Arbeit umsetzen müssen.[46] Bezeichnend für die Weise, in der Miskotte sich selbst sowie seine Leser, für die er offenbar in erster Linie schreiben wollte, verstanden hat, ist, dass er das fremde Wort in der heutigen Kultur bezeugen und es so auch zum Verständnis verhelfen will. Er will auch Dolmetscher dieses Wortes sein und so jetzt den Namen verkünden. Fast am Ende des ‚kleinen Zeitspiegels’, mit dem das Buch anfängt, erwägt Miskotte die Möglichkeiten einer gereinigten Vernunft zur Heilung des Zeitgeistes, aber folgert dann doch: ‚So wird unser Ausgangspunkt doch der Text der heiligen Schrift bleiben müssen’.[47] Der Zeuge ist selber angeredet worden und er ist an diese Anrede gebunden. Deshalb hat Miskotte sich Karl Barth zu seinem Meister in der christlichen Theologie gewählt,[48] weil bei Barth nicht die kulturellen Bedingungen der Möglichkeit einer Interpretation, sondern der ‚Vorrang der Wirklichkeit’[49] des Wortes dieser Schrift selbst die Arbeit, auch die Denkarbeit des Interpreten und des Zeugen bestimmen. Miskotte hat dabei in dieser Hinsicht immer intuitiv eine Wahlverwandtschaft zwischen Barth und Rosenzweig vermutet – trotz der Tatsache, dass bei Barth eine sprachphilosophische Ausarbeitung fehlt.[50] Aber es ist ihm niemals gelungen seinen Basler Freund davon zu überzeugen und vielleicht auch wohl deswegen hat er die Möglichkeiten und die Probleme die sich hier ergeben niemals völlig zu Ende gedacht.[51]

            In wieweit kann Miskotte nun die Bezeichnung ‚erzählende Philosophie’ für seine eigene Arbeit übernehmen? In Wenn die Götter schweigen habe ich mindestens zwei Stellen gefunden, wo er davon redet. Die eine Stelle verwendet den Ausdruck distanziert, die andere positiv-herausfordernd.

Eine erste Stelle handelt vom Namen als dem Inbegriff der Einheit der beiden Testamente:

‚Der unaussprechliche Name ist nicht anders als in einem qualifizierten Geschehen erkennbar. Daher besteht ein Zusammenhang zwischen dem offenbar-verborgenen Charakter des Namens und dem erzählenden Charakter des Alten Testaments.’ Dies wird dann anhand der drei Teile des rabbinischen Kanons  – Thora, Prophetie, Ketubim – weiter ausgeführt, und dann heisst es: ‚Alles hängt an der Präsenz und dem wirklichen kreatorischen Handelns JHWHs. Darum kann man allenfalls, und nicht ganz ohne Ironie, mit Rosenzweig von einer „erzählenden Philosophie“ sprechen.’[52]

Hier hat offenbar die barthsche Seele in der Brust Miskottes für einen Augenblick das Übergewicht bekommen. Zwar kann der Name am besten bezeugt werden wenn seine Taten erzählt werden, und ist die von der Schrift selber evozierte Denkform offenbar eine erzählerische, aber keinen Moment darf das so verstanden werden, als ob es in der Schrift eine eigene Denkweise, geschweige denn eine eigene ‚Philosophie’ gäbe.

Die zweite Stelle[53] findet sich im Abschnitt ‚Der Überschuss’ (des Alten Testaments im Vergleich mit dem Neuen[54]), im Kapitel ‚Die Erzählung’ (das auch einen Paragraphen ‚Das Erzählen’ enthält), worin das hier Gesagte breiter entfaltet wird.[55] Dieses Kapitel enthält die folgenden Thesen: 1. ‚Für eine spätere Generation wird es beinahe unbegreiflich sein, dass akademische Wissenschaft die sakrale Erzählung (um nicht zu reden von der Verkündigung der Erzählung, um ganz zu schweigen von der christlichen Verkündigung der Erzählung) zu reduzieren gewusst hat auf Geschichtchen, die uns in unserer Existenz auf keinerlei Weise angehen (…) [und] dass die Prediger sich dadurch haben einschüchtern lassen’ (WGS 203);[56] 2. ‚Wir verlieren die Spur, wenn wir die Erzählung als einen Mythos verstehen, der sich um einen „historischen“ Kern gebildet habe, als die Umkleidung einer allgemeinen Wahrheit, als die Illustration einer Ermahnung’ (WGS 204) – Rosenzweig im Himmel jauchzet -; 3. ‚zu einem Predigen aus dem Alten Testament kann es nicht kommen, wenn man die Sphäre der Gottes-Erzählung verlässt. Wohl ist es wahr, dass Predigen nicht darin aufgehen kann, dass man erzählt, wie es war, aber es ist ganz gewiss ein solches Erzählen, dass der Hörer verstehen kann, wie es ist, wie es steht zwischen Gott und Mensch in der „geschehenden Geschichte“ [ein Ausdruck von Martin Buber, rrb].’ (WGS 205); 4. ‚So werden wir wohl entdecken, dass wir mit einem neuen kindlichen Sinn bekleidet werden müssen. Bei uns westlichen Intellektuellen geht das nicht anders als auf dem Wege über die Reflexion’ – das klingt wohl anspuchsloser als ein Programm ‚erzählender Philosophie’ –; ‚so darf sich die Theologie nicht erdreisten, den Kindermord des bürgerlichen Westens auf die Spitze zu treiben’ – welch ein geistliches Leiden findet hier einen Ausweg! (WGS 206). 5. ‚Nach unserer Überzeugung ist die Bibel ihrem wesentlichen Bestand nach eine Erzählung, die wir weiterzuerzählen haben. Und so kann es geschehen, dass sich die Erzählung – sozusagen in einer „unblutigen Wiederholung“ – vollzieht an denen, die uns hören.’[57] (WGS 208); 6. ‚Gut erzählen heisst so erzählen, dass die Mitte, der Ursprung und das Ende aller Dinge von ferne sichtbar werden; auf Christus, auf diese bestimmte Gegenwart Gottes ist jedes Menschenleben und -streben bezogen – und mit Ihm auf den Anfang und das Ende’ (WGS 208) – ein christliches Amendement zum zweiten und dritten Teil des Sterns der Erlösung; 7. ‚Daran hängt die Kraft der alètheia; denn Wahrheit liegt nirgends, Wahrheit geschieht, kommt auf uns zu, verwirklicht uns in ihren Prozess’ (WGS 209) – für Miskotte, wie für Rosenzweig, also keine narratio ohne auctoritas.[58] Und dann (bevor es noch zu einigen praktischen Anweisungen über die Predigtpraxis kommt) heisst es schliesslich 8.:

‚“Erzählende Philosophie“ bringt daher den Systematiker oft in Verwirrung; ihm stellt sich der Erzähler bisweilen dar als ein Artist, ein Schauspieler, als ein rühriger Schöngeist; ein Schwärmer, bisweilen als ein Haudegen der Einseitigkeit, dann wieder als ein Stümper in der Kunst der Verfeinerung, oft als Wirrkopf und Lärmschläger.[59] Die Dogmatik kommt dem nicht bei, es sei denn, sie selbst wäre umgesetzt in eine Denkweise, die abgestimmt ist auf die Taten Gottes, auf den nicht geschlossenen, sondern offenen Raum, den Schauplatz der Wohltaten und der Gerichte. Es zeigt sich wohl, dass gerade hier Sachlichkeit und Ordnung herrschen, nämlich die, welche in dem Gang der Gotteserzählung selber liegen.’ (WGS 210)

Ob Miskotte sich selbst für einen solchen ‚erzählenden’ Dogmatiker gehalten hat?[60] Oder zuminstens Karl Barth?[61] (Er konnte schön vom ‚kindlichen’ im Barthschen Charakter reden[62]). Es bleibt bei Suggestionen.

3. Lehre

In der soeben gegebenen Wiedergabe des Kapitels ‚Die Erzählung’ ist ein bestimmter Aspekt bewusst übergangen worden, weil er eine selbständige Besprechung erfordert. ‚Die Erzählung ist, so wie sie geht, implizit Lehre. Man hat nichts hinter ihr zu suchen, man hat keine Moral an sie anzuhängen, man braucht sich nicht nach den ursprünglichen Erlebnissen der beteiligten Personen umzusehen’ (WGS 202). ‚Wir haben entdeckt, (…) dass die Lehre anoothen, von oben kommt, aus der Ordnung der göttlichen Wahrheit. Wir werden allmählig von dem aus dem 19. Jahrhundert ererbten Wahn befreit, dass a) die Erzählung „nur eine Geschichte“ sei und dass b) die Lehre sich in einigen Hauptbegriffe zusammenfassen lasse’ (WGS 203).[63] Gerne hat Miskotte sich hier der Einsicht der Synagoge angeschlossen, dass ‚Thora’ nicht mit ‚Gesetz’ zu übersetzen ist. Sie ist vielmehr ‚heilige Lehre, Unterweisung für das erwählte Volk’.[64] ‚Dabei muss „Lehre“ als der Akt des Lehrens verstanden werden und Unterweisung als der Niederschlag des Lehrens, so aber, dass der Akt darin noch mitgespürt wird.’[65] Vieles gehört zu ihr: die Erzählungen der Erzväter, das Leiden in Ägypten, der Zug durch die Wüste, aber auch die Gebote, Gedichte, Geschlechtsregister, Sprüche. ‚Sie lehrt uns beständig die Gabe und die Aufgabe des Bundes betrachten.’

            Auch hier hat Rosenzweig wieder eine Richtung gewiesen, aber inwiefern? Die Form der biblischen Erzählungen, sagt dieser, zielt auf eine Pointe: ‚hier soll ja […] die Erzählung, soweit sie nicht Botschaft ist, also episch, sondern anekdotisch, also Lehre, das dialogisch Zweite sein: Antwort, nicht Frage, göttlicher Widerspruch und Zusatz zu eigen-menschlichem Spruch und Satz. Als Botschaft tritt sie an den Menschen heran, aber als Lehre muss er sie herausfordern. Offenbarung geschieht ihm, aber Gebot erzwingt er durch sein Tun.’[66] ‚Nicht die gehörte Erzählung darf ihn (den Hörer) aus seiner Heutigkeit unter den Sinai entrücken; erst sein tätiger Gehorsam rückt ihm den Sinai in nächste Augennähe – das Gesetz also, nicht die Geschichte, 2. Mose 20, nicht 2. Mose 19.’[67] Das alles klinget gut-jüdisch: die halacha hat das Übergewicht über die haggada; die haggada ist frei, die halacha verpflichtet. Und ‚das Gebot erzwingen’: würde Miskotte das nicht als ‚Korrelationslehre’ verwerfen? (siehe unten).[68]

Die Auffassung der Erzählung als Lehre ist also nicht eindeutig. Aber gerade das ist für Miskotte wahrscheinlich auch wichtig. Die Entdeckung der Lehre in der Bibel erfordert ja Forschung, Nachfrage.[69] Sie ist nicht gleich Verkündigung, aber befindet sich im Vorfeld der Verkündigung.[70] Sie braucht Dauerhaftigkeit und Zucht, mehr als einen grossen Glauben, obwohl sie eine eigene Art der Freude mit sich bringt, Thorafreude.[71]

3.1. ,Anschauen’ – ,Sehen’ – und ,Hören’

So kommt das, was im ‚Lehrhaus’ versucht wird, in die Nähe dessen, was Miskotte mit der von ihm entwickelten – und sehr spezifisch umschriebenen – ‚phänomenologischen’ Methode beabsichtet hat. Schon auf früheren Barth-Tagungen war davon die Rede,[72] so dass ich mich hier jetzt kurz fassen kann.

            In der Exegese erkennt Miskotte drei Stufen, die nicht zu scheiden, wohl zu unterscheiden sind.[73] Zwischen der literar-historischen, bei ihm in der Praxis oft auch religionsgeschichtlichen (,Anschauen’) und der im eigentlichen Sinne ‚theologischen’ Exegese, in der es auf die Entscheidungen des Glaubens ankommt (‚Hören’ und ,Gehorsam’) schiebt er ein Zwischenreich ein, die phänomenologische Betrachtungsweise (‚Sehen’). Hier handelt es sich um die Wesensschau eines Textes oder eines Konglomerats verschiedener Texte, anhand des Aufspürens deren Sinnstrukturen, d.h. um eine Einfühlung, die Zusammenhänge und Tiefen zu ergründen versucht. Die Analyse der ‚Grundwörter’ (vergleiche Rosenzweigs ‚Stichwörter’) bietet da eine Hilfe, aber es geht letztlich darum, zu unterscheiden worauf ein Text hinaus will, welche geistliche Welt er evoziert. Völlig ‚neutral’ kann eine solche Schau niemals sein: es ist der Theologe, der sie ausübt und dieser bringt immer sein eigenes theologisches Vorverständnis mit. Aber doch wird er in einer ‚epochè’ versuchen, seine Werturteile zuminstest vorläufig beiseite zu lassen. Er will ja verstehen, und wenn möglich mit den Anderen zusammen verstehen. Vielleicht kann man sagen, dass diese Methode bei Miskotte eine ähnliche Funktion übernimmt, als bei Augustin das intellectum im Unterschied zu fides et auctoritas (hatte doch in der späten Antike auch das neoplatonische  intellectum eine religiöse Dimension): es ermöglicht eine Selbstbetrachtung in einer gewissen Distanz vom eigenen Engagement, es betrachtet gleichsam von aussen, was da eigentlich passiert, wenn man versucht zu glauben und zu erhorchen ‚was da steht’.

            Damit ist auch die folgende Einsicht gegeben: es gibt nicht nur eine Erzählung, von der ein Mensch angeredet wird, es gibt viele solche Erzählungen, welche untereinander um die Seele kämpfen. Vielleicht darf man sagen: sowie der Gott Israels als der eine Gott inmitten vieler Götter auftritt und Gehör bekommen will, so erscheint die einmalige biblische Erzählung inmitten vieler Erzählungen mit manchmal strittigen, manchmal parallelen, manchmal einander kreuzenden Tendenzen und Linien, wenn sie als Lehre mit auctoritas um ganz bestimmte Taten fragt. Für Miskotte sind im wesentlichen zwei[74] Typen solcher Erzählungen wichtig. Seine Dissertation Het Wezen der Joodse Religie (1932) läuft auf einen phänomenologischen Vergleich der geistlichen Strukturen hinaus – nicht des Neuen Testaments, nicht der Dogmatik der Kirche, sondern – des Alten Testaments mit denen des späteren Judentums, und am Ende der dreissiger Jahren bietet Edda und Thora einen Vergleich zwischen dem germanischen Heidentum und – wiederum, nicht: dem Christentum, sondern – der ‚heiligen Unterweisung’ der israelitischen ,Bücher der Weisung’. Die eine Erzählung kontrastiert also hier wie dort mit einer anderen Erzählung, und damit kontrastiert auch Lehre mit Lehre.[75] Ziel ist in beiden Fällen eine Diastase, ein (wie es im zweiten Fall heisst – am Anfang der Nacht des ‚Dritten Reiches’ mehr als vorstellbar) Ende des üblichen ,Synkretismus’, eine ,Scheidung der Geister’. Man kann fragen, ob dieses Ziel mit der phänomenologischen Methode, oder besser gesagt mit dem Übergang vom ‚Sehen’ zum ‚Hören’, notwendig gegeben ist und sich für alle möglichen Kontexte wirklich zwingend aufdrängt. Auf diese Frage wird der nächste Paragraph näher eingehen. An diesem Punkt angekommen soll aber erst an zumindest einem Beispiel das für die von Miskotte tatsächlich praktizierte Arbeitsweise kennzeichnendes Ergebnis kurz dargestellt werden.

3.2. Beispiel: die ‚Lehre der Korrelation’

Zur Aufhellung der Methode Miskottes, als phänomenologischer Vergleich der Erzählungen, wäre der Fall Edda en Thora, wo es nachweisbar an beiden Seiten vergleichbare narrative Figuren gibt, an sich am durchsichtigsten.[76] Dennoch sei hier, aus Gründen die im letzten Paragraphen hoffentlich klar werden, die Dissertation als Beispiel gewählt.

Die Weise, in der Miskotte das ‚Wesen’ des Judentums auf den Nenner des (namentlich von Hermann Cohen im gemeinten Sinn geprägten) Begriffs der ‚Korrelation’ gebracht hat, ist in den letzten Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht auf Kritik gestossen.[77] Diese Kritik hat in vieler Hinsicht ihr gutes recht, aber es hier nicht der Ort, sie zu besprechen oder sie weiterzuführen. Mitgeteilt sei hier nur, was Miskotte mit ‚Korrelation’ meint und welche ‚clash between stories’[78] dieser Begriff in seinen Augen hervorruft.

Was ist ,Korrelation’? ‚“Der Name“ ist der Teil oder die Offenbarung Gottes, die in der Welt des Leids zur Geltung gebracht werden soll. Gott braucht Israel, und dies nicht nur zur Heiligung der Welt, sondern auch zur Heiligung seines Namens. ‚„Man wird weiter nirgendwo noch Leid tun…“: darin ist die Heiligung vollbracht’ (WJR 466). ‚Gott kann nicht zum König werden dann durch uns. Nach Buber ist das eine so einfache Wahrheit, dass, wer hier zögert in seinen Augen eine Gefahr für die Gesellschaft ist (Buber: „Unsere Lehre ist: Es gilt nicht, dass er mich erwählt hat, sondern dass ich ihn erwähle: Jene [sc. die christliche] Lehre hindert den Menschen an der Entscheidung, die Jesus verkündete: Metanoeite“)’ (WJR 474). ‚Die Hypostasierung der Thora und die Verewigung des Volkes gehen hand in hand. Keine kritische Instanz leuchtet mehr auf über das Volk und gegenüber dem Volk; im Gegenteil: das Volk sieht sein Wesen in „seiner“ Thora wiederspiegelt und sieht die eigene Zukunft in „seinem“ Gott versichert’ (WJR 507).

Im Kontrast dazu heisst es: ‚Im (sc. apostolischen) Kerygma durchbricht die Prädestination den Bund und relativiert ihn, im Judentum fixiert der Bund die Prädestination’ (WJR 528). ‚Deshalb ist die moralische Minderwertigkeit vieler „Bibelheiligen“ (…) für die Kirche ein Zeugnis, dass es sich in der Schrift um die Leugnung der Korrelation handelt. In soweit sie moralisch minderwertig sind, verweisen sie auf das Urteil Gottes und insoweit sie trotzdem Heilige, Abgesonderte, Berufene sind, verweisen sie auf Gottes Gnade’ (WJR 547-548).[79] ‚Wer die Prädestination verrät, ist letztendlich nur in seiner eigenen Gesellschaft’ (WJR 554). Bleibt also nur übrig: ‚Scheidung der Geister’? Eine Entscheidung gegen die jüdische Religion, die, wenn das ‚Sehen’ ins Hören’ übergeht, notwendig wird?

4. Offener Raum

Man wünschte sich einen Text Miskottes, in welchem er sich programmatisch die Frage stellt, ob die Theologie, nach einer sorgfältigen phänomenologischen Analyse der unterschiedlichen Erzählungen und der in ihnen implizierten ‚Lebensgefühle’ und ‚Lehren’, wirklich nichts anderes kann als sich gegen die Pointen der Erzählungen der Anderen zu ‚entscheiden’. Wenn die Dogmatik der Kirche umzusetzen sei ‚in eine Denkweise, die abgestimmt ist auf (…) den nicht geschlossenen, sondern offenen Raum, den Schauplatz der Wohltaten und der Gerichte’ der biblischen Erzählungen, von denen sie lebt,[80] ist es dann von vornherein ausgeschlossen, dass in diesem Raum auch die Erzählungen der Anderen, wie widerspruchsvoll auch immer, eine Wohnung finden? Kann die Entscheidung, auf welche der Weg vom ‚Sehen’ zum ‚Hören’ hinausläuft, nur eine Verwerfung der Erzählungen der Anderen beinhalten, und damit eine ‚clôture’,[81] eine Verfestigung der ‚eigenen’ Erzählung – welche doch niemals die eigene war! – bewirken, oder sieht der durch die Erzählung neu geschaffene Raum – gerade im Licht der Erzählung von der Prädestination der Verworfenen! – doch wesentlich anders aus?

Einen solchen programmatischen Text Miskottes gibt es zwar auf der Ebene der ‚erzählenden Philosophie’ nicht, aber auf der Ebene der Philosophie als solchen sehr wohl. Ich meine die 1951 zum dies natalis der Leidener Universität gehaltene Vorlesung: ‚Barth über Sartre’.[82]

4.1. ‚Barth über Sartre’

Diese Vorlesung bespricht den Exkurs in der Kirchlichen Dogmatik, in welchem Jean-Paul Sartre (namentlich wegen seines Buches L’Être et le Néant, 1943), zusammen mit Martin Heidegger, zu Wort kommt im Zusammenhang der ‚Erkenntnis des Nichtigen’.[83] Miskotte sagt: lieber, als im allgemeinen Sinn vom ‚Verhältnis von Theologie und Philosophie’ zu reden, zeige ich an dieser konkreten Begegnung paradigmatisch, wie ein solches Verhältnis wohl oder nicht zustande kommen kann (154). Auch hier ist nicht die Frage des ,Nichtigen’ selbst unser Thema, und ebensowenig die Frage der Richtigkeit der Sartre-Interpretation Barths oder der Barth-Interpretation Miskottes, sondern nur das Paradigma, das in diesem Text zu entdecken ist. Das Ergebnis sei unter sieben Gesichtspunkten zusammengefasst:

1. Die Frage des Verhältnisses Philosophie – Theologie kann nicht, wie in der neothomistischen Scholastik üblich, schon in den Prologomena gelöst werden (156). Es gibt keine Arbeitsteilung der Bereiche im voraus, keine vorgegebene Wechselbeziehung der Methoden. ‚Es ist nicht so, dass die eine das Humanum und die andere das Divinum vertritt; das Philosophieren lebt nicht per se ausserhalb des Wortes Gottes und das Theologisieren ist nicht per se dem Wort Gottes gemäss, z.B. wegen eines „schriftgemässen“ Ausgangspunktes.’ ‚Die Begegnung findet statt an einem konkreten Ort, in einem bestimmten Locus (in diesem Fall: dem Locus der Vorsehung) zwischen Menschen, welche sich selbst und einander Rechenschaft geben.’ Diese Solidarität ist keine herablassende Geste, sie ist die Gemeinschaft alles Fleisches, alles menschlichen Fragens. Sie ‚ereignet sich um Christi Willen. Sie darf niemals in abstracto bezeugt werden; sie soll von Problem zu Problem, von dem einen Locus zum anderen  durchgeführt werden’ (155).

2. ‚Diejenigen die hier das Wort bekommen, dürfen sicher sein, dass sie nicht ausgebeutet werden. Nicht um sie zu widerlegen! Auch nicht um sie positiv zu gebrauchen und sie vor den Siegeswagen der Theologie zu spannen! Das eine noch das andere wäre eventuell unmöglich. Es ist uns aber verboten, weil das Wort Gottes (wenn es so etwas gäbe) nicht konkurriert und weil die theologische Besinnung ein Dienst ist an das Wort, das selbstverständlich nicht konkurriert’ (155-156).

3. Der Philosoph (der zugleich als ‚Interpret des modernen Lebensgefühls’ auftritt, 153) bekommt hier das Wort ‚anlässlich einer theologischen Verlegenheit’ (157). Einerseits bedeutet das, dass die Theologie selbst die Initiative behält, andererseits dass diese Verlegenheit nicht als ein, gleichsam nur-technisches, Handikap aufgefasst wird, sondern als eine uns von Gott bereitete Sackgasse, als eine Aporie des menschlichen Geistes, die beide, den Philosophen und den Theologen, angeht. ‚Was der Philosoph zu sagen hat, wird nicht von vornherein in einen theologischen Rahmen gespannt, es sei denn im Rahmen dieser – besonderen – Verlegenheit.’ ‚Wir erreichen hier also einen Punkt, an dem nicht die Offenbarung vor dem Gericht der Vernunft Rechenschaft abzulegen hat, sondern an dem die Philosophie gefragt wird, ob sie vielleicht das, was die Offenbarung meint, aus ihren eigenen Vernunftsgründen’ (‚in háár rede-beleid’, 158) verantworten könnte.

4. Der Philosoph wird nicht nur zur Sprache gebracht, er redet selber, und er bekommt auch die Gelegenheit, zu Ende zu reden (153). Dieses kann zur Folge haben, dass der Dogmatiker den Philosophen gegen viele Bedenken, die gerade in der Kirche und der Theologie gegen ihn leben, zu verteidigen hat. Ja, es ist sogar möglich, dass er, als Gastgeber aufgrund des Gastrechtes, der Selbstverteidigung des Philosophen beistimmen muss (159).

5. Wenn der Dogmatiker selber keine selbstverständliche natürliche Theologie zur Voraussetzung hat, kann ihm ein Phänomen als der angebliche ‚Atheismus’ des Philosophen kein Hindernis sein. Vielmehr kann dieser gerade als einen Bruder begrüsst werden. ‚Die Solidarität zerbricht an einem anderen Punkt und auf unerwarteten Weise’ (nämlich, wo Sartre dem menschlichen Subjekt ein konventionelles Gottesbild zuerkennt, 162-163).

6. Dieser ‚andere Punkt’ kann nur auf dem Weg der immanenten Kritik gefunden werden. Wenn es dann zu einer Diastase zwischen theologischem und philosophischem Ansatz kommen soll – und im Fall der Begegnung zwischen Barth und Sartre war das unumgänglich –, dann nicht aufgrund wesensfremder Forderungen des Theologen, sondern weil er, durch seine theologische Lesart, immanente Widersprüche im philosophischen Text aufzeigen muss. ‚Keine andere Diskussion als eine, in der letztendlich ein gegenseitiges Gespräch von Männern  [von Frauen ist nirgendwo die Rede, rrb], von Herzen [nämlich über dem Ernst des Bösen] sich entfaltet’ (166).

7. Dennoch mag es sein, ja wird es so sein, dass meistens die Begegnung mit einem Philosophen in der Dogmatik in einer Uneinigkeit endet. Diese Erfahrung, sagt Miskotte, dürfen wir aber nicht für eine absolute halten, alsob wir sicher sein könnten, dass das ‚Scheitern’ dieser Begegnung schon von vornherein feststünde. ‚Diese Erfahrung kann uns nicht einer neuen Begegnung entheben; eine neue Erwartung kann durch eine solche Enttäuschung nicht einfach für ausgeschlossen gehalten werden’ (159). Denn ‚die Theologie kann nicht in abstracto („in het afgetrokkene“) die Grenzen zwischen ihr selbst und der Philosophie festlegen wollen; denn weil Gott wahrhaftig Gott und freier Gott ist, kann es nie ausgeschlossen werden, dass die Philosophie als solche Gott findet und verkündigt, und umgekehrt: weil der Mensch, der Theologe, endlich und sündig ist, hat auch seine Arbeit teil an der Relativität und der Sündigkeit aller Kulturarbeit. Daraus folgt, dass wir als Theologen von der Seite der Philosophie nichts zu fürchten und von uns selbst in der Verlegenheit des Denkens nichts besonderes zu erwarten haben – wohlverstanden: ausserhalb der Erleuchtung des heiligen Geistes. Damit ist auch gesagt, dass es niemals ausgeschlossen ist dass z.B. Hegel  nolens volens der executor testimonii Sacrae Scripturae wird, nämlich gerade nicht systematisch, sondern konkret und gelegentlich. Dies soll von Fall zu Fall, von Kontakt zu Kontakt, immer neu beurteilt werden’ (167). ‚Dieses kann uns fröhlich machen. Es ist nicht unsere Sorge, das Wort Gottes mit dem Leben in Kontakt zu bringen [kursiv rrb]. Dafür ist schon gesorgt. Es ist ebensowenig unsere Sorge, die alètheia für indiskutabel zu erklären und zu schützen. Sie ist gegenwärtig und führt ihren eigenen Rechtsstreit mit Majestät, mit der Majestät des Logos, der auch die Liebe ist’ (169).

Schlussfolgerung: wenn es mit der Philosophie so steht, dass sie nach Miskotte niemals von vornherein ohne Chance auf reale Zustimmung in die theologische Arbeit mit aufgenommen werden kann, sollte das dann auch nicht von der ‚erzählenden Philosophie’ der Juden und der Heiden gesagt werden können? Ist es uns auch hier nicht verboten, das ‚Scheitern’ der Begegnung schon als Ergebnis a priori vorherzusagen? Darf man es ausschliessen, dass – nicht systematisch, sondern von Fall zu Fall – aus dem ‚clash of stories’ ein gegenseitiges Wiedererkennen der Erzählungen aufblüht?

4.2. Schluss: Miskotte als ‚erzählender Denker der Korrelation’?

Am Ende eines Weges gekommen, der eigentlich die Frage,die mitunserem Tagungsthema gegeben ist, nur verschärft hat, sei noch ein Hinweis auf zwei Notizen aus den postum herausgegebenen Tagebüchern Miskottes gegeben. Selbstverständlich sind sie mit Vorsicht zu rezipieren, denn er hat diese ungeschützt niedergeschriebenen Bemerkungen meines Wissens nie in seine öffentlichen Publikationen wiederholt und er hat ausserdem seine Tagebücher nicht selber für eine Veröffentlichung redigiert (obwohl er geahnt haben muss, dass er ein grosser Tagebuch-Schriftsteller war). In den Notizen kommen wir Verlegenheiten auf die Spur, gleichsam die Rückseite der scheinbar so klaren Entscheidungen, auf welche die grossen phänomenologischen Studien der dreissiger Jahre hinauslaufen. Sie können uns vermuten lassen, wie die Kenntnisnahme der Erzählungen der Anderen (hier ins besondere: der Vertreter der jüdischen Religion) die vertraute und angeblich unerschütterte ‚eigene’ Erzählung unter Druck setzen, ja mehr oder wenig verändern konnte.[84] So heisst es am Montag, den 27. April 1936:[85]

,Der „jüdische“ Vorwurf an Luther, Zinzendorf, Wesley, Kohlbrugge hinsichtlich der Rechtfertigung wird immer dieser sein: was bedeutet der „Weltprozess“, die Geschichte der Berufung, der Erwählung, des Ungehorsams und der Wiederherstellung für Gott? Darauf muss eine Antwort gegeben werden. Wie können wir übrigens die Unveränderlichkeit und Unempfindlichkeit Gotttes „Seins“ lehren,[86] während wir auch sagen: „welcher auch seines eignen Sohnes nicht hat verschonet“?[87] Könnte man sagen, dass Gott in der Rechtfertigung des Menschen auch sich selber rechtfertigt, nämlich die Schöpfung und die in ihr mitgegebene Verheissung eines sinnvollen Lebens des Menschen und alles Geschöpfs?’

Und noch deutlicher ist das, was er schreibt an einem ‚stillen Morgen – zur Meditation’ am Montag, den 20. Februar 1933:[88]

,Ich habe schon ziemlich viel doziert über das: „wir sind es, die versöhnt werden“, Gott braucht es nicht, versöhnt zu werden. Aber darin liegt doch eine Einseitigkeit. Nicht, dass ich die Redewendung: „Gott will das seiner gerechtigkeyt gnug geschehe“[89] buchstäblich übernehmen würde, aber die Studie des Judentums hat mich auch an diesem Punkt dialektischer gemacht. Gott braucht es, versöhnt zu werden, der Tod Christi ist eine Tat der Korrelation: Er stirbt um Gottes willen, um ihn als den Schöpfer und den Herrn mit seinem Tod zu ehren. Die Hypostasierung der Gerechtigkeit ist israelitisch. Und diese geschieht gerade (von der juridischen Denkform abgesehen) in der Satisfaktionslehre. Es ist absolut unzutreffend, die Satisfaktionslehre auf das Konto eines römisch-juridischen Denkens zu setzen. Im Gegenteil, wenn es hier einen Rand der Häresie gibt, dann (handelt es sich um) die Häresie der jüdischen Korrelation, nur[90] dass diese weder auf den Menschen als Individuum, noch auf den Menschen als Mitglied des Bundesvolkes, sondern auf die „menschliche Natur“ Christi bezogen wird.’[91]

Miskotte hat immer grosse Zurückhaltung im öffentlichen Reden zum Geschehen der Versöhnung geübt. Er hat sich für ‚orthodox’ gehalten und das Geheimnis respektiert, ohne es eindringlich zu hinterfragen. Dennoch spürt man hier, wie die Begegnung mit der Erzählung des Judentums auch den Umgang mit dem grössten christlichen Glaubensgeheimnis nicht unberührt gelassen hat. Bis ins Herz der christlichen Erzählung – der ‚Geschichte Jesu Christi’ – konnte diese Begegnung – sei es auch ‚in der Stille’ – offenbar auf ihn einwirken und ihn zur Neuformulierung dieser für einen Christen ganz intimen historia einladen.[92] Dieses beim Lesen zu erfahren, mahnt zur Vorsicht im Urteil, welche Erzählung eigentlich für einen Theologen auf der ganzen Linie bestimmend ist.

Rinse Reeling Brouwer


[1] Augustinus, De vera religione / Über die wahre Religion XXXIX.72, zitiert nach der Reclam-Ausgabe, Stuttgart 1983, Übers. und Anm. W. Thimme: noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas, et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.

[2] Op. cit. XXIV.45: tribuitur in auctoritatem et rationem: auctoritas fidem flagitat et rationi praeparat hominem, ratio ad intellectum cognitionemque perducit.

[3] Op. cit. LV.110: nam ad ipsum actum est temporali dispensatione ad salutem nostram, ut naturam humanam ipsa dei virtus et dei sapientia incommutabilis et consubstantialis patri et coaeterna suscipere dignaretur, per quam nos doceret id esse hommini colendum quod ab omni creatura intellectuali et rationali colendum est.

[4] Op. cit. XXV.46: quid agatur cum genere humano per historiam commendari voluit et per prophetiam. Temporalium autem rerum fides sive praeteritarum sive futurarum magis credendo quam intelligendo valet. Siehe auch VII.13 : huius religionis sectandae caput est historia et prophetia dispensationis temporalis divinae providentiae pro salute generis humani in aeternam vitam reformandi atque reparandi.

[5] Für Augustin ist dieses der Grund der allegorischen Lesung der Schrift.

[6] Op. cit. XXVI.49.

[7] Op. cit. XXIV.45: ‘Doch ist auch die Autorität nicht gänzlich von Einsicht verlassen, da man sich überlegen muss, wem man glauben soll, und nicht minder eignet auch der bereits einleuchtenden und erkannten Wahrheit unzweifelhaft höchste Autorität’ (quamquam neque auctoritatem ratio penitus deserit, cum consideratur cui credendum sit; et certe summa est ipsius iam cognitae atque perspicuae veritatis auctoritas). Im ersten Satzteil erkannt man schon die Formell Anselms: fides quaerens (das ihr eigene) intellectum.

[8] In Opera theologica selecta, Cura PP. Collegii S. Bonaventurae ed. minor, Ad Claras Aquas (Quarrachi-Firenze), tom. V, Tria opuscula. Sermones theologici, 1964, 1-175.

[9] Es ist richtig und schön, wenn die sogenannte ‘narrative Theologie’ unterstreicht, dass sie in der Linie der klassischen Theologie  ‘fits the world into the story of God rather than God in the story of the world’ (z.B.  Gerard Loughlin, Telling God’s story. Bible, Church and narrative theology, Cambridge 1996, 34).  Man muss aber wohl bedenken, dass dieser Satz in der Zeit vor der Emanzipation der Wissenschaften während der Modernität eine andere Bedeutung hatte als nachher. Bei Bonaventura ist die Theologie noch die Königin aller Wissenschaften. ‘Integralistischer’ als bei ihm hat die Theologie vielleicht niemals gesprochen (jedenfalls bestimmt nicht bei seinem dominikanischen Zeitgenossen Thomas von Aquin).

[10] Aristoteles, Eth. Nic. 2,1.

[11] Particularia gesta probari non possunt: die Schrift befasst sich also nur mit Partikularitäten!

[12] Genauer gesagt (mit Dank an Onno Zijlstra) geht es um einen doppelten Syllogismus : P1 nur die Autorität eines Subjektes welches nicht betrogen werden kann (oder selbst betrügen kann) bietet Gewissheit; P2 Nur Gott oder der heilige Geist aber ist untrüglich; C Gottes Autorität bietet Gewissheit, und: P1 Nur was aus Gott ist bietet Gewissheit; P2 die heilige Schrift hat vollkommene Autorität; C die heilige Schrift ist aus Gott.

[13] Desiderius Erasmus, Ratio = theologische Methodenlehre, in: Ausgewählte Schriften Bd. 3, hrsg. von G.B. Winkler, Darmstadt 1967.

[14] Corpus Reformatorum 21, 603-606; auch in Melanchthons Werke in Auswahl. Sudienausgabe II. Band 1. Teil, bearbeitet von Hans Engelland, 2. neubearbeitete Auflage, fortgeführt von R. Stupperich, Gütersloh 1978, 189-193; in der von Melanchthon selbst besorgten deutschen Fassung – die offenbar für ein weniger gebildetes Publikum geschrieben ist –, kommt der Vergleich mit der philosophischen Methode im Wegfall; siehe Philipp Melanchthon, Heuptartikel Christlicher Lere. Melanchthons deutsche Fassung seiner Loci theologici, nach dem Autograph und dem Originaldruck von 1553 herausgegeben von Ralf Jenett und Johannes Schilling, Leipzig 2002, Vorrede, 80ff.

[15] Ordo: auch im Sinne von: Reihenfolge.

[16] Vgl. H.J. Adriaanse, ‘In het spoor van Rosenzweig’, in: G.C. den Hertog, G.W. Neven (Hrsg.), Miskotte: hoofdlijnen van zijn theologie, Kampen 1993, 38-58.

[17] In Miskottes Dissertation Het Wezen der Joodsche Religie. Bijdrage tot de kennis van het Joodsche geestesleven in dezen tijd (Amsterdam 11933, Amsterdam 21964, Kampen 31982 = Verzameld Werk deel 6, im weiteren: WJR ) ist ein ausführliches Kapitel Rosenzweig gewidmet (IV. Systematische Fundeering, 280-370). In 1958 schrieb Miskotte in der Nederlands Theologisch Tijdschrift drei Artikel ‘Over Franz Rosenzweig’ (der erste Artikel handelt hauptsächlich vom ‚Neuen Denken’, der zweite von der Sprachphilosophie, der dritte von der Lehre der Zeit), die er später im Vortragsband Geloof en Kennis (Haarlem 1966) aufnahm und welche jetzt in Verzameld Werk band 9, Theologische Opstellen, Kampen 1990, 25-82 zu finden sind (im weiteren: FR). Für unsere Zwecke sind diese beiden Texte am wichtigsten. Zitate Rosenzweigs findet man aber in Miskottes Schriften fast überall.

[18] Miskotte, FR 26.

[19] Franz Rosenzweig, ‘Das neue Denken’, Der Morgen 1926; wieder abgedruckt in: Zweistromland, 1926 (die Quelle Miskottes); jetzt in: Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, hrsg von Reinhold und Annemarie Mayer, Gesammelte Schriften III, Dordrecht/Boston/Lancaster 1984, 139-161. Zitat auf S. 148. Dazu Miskotte, WJR 295ff.

[20] Die Urfassungen der Weltalter von 1811 und 1813 sind gesetzt aber nicht ausgedrückt worden. Eine dritte Fassung erschien 1861 in Band VIII der Sämtlichen Werke. Siehe Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813 herausgegeben von Manfred Schröter, München 1946, 21966, 4-9/14 (1811), 111-118/121, 201-208 (Einleitungskonzept). Die Fassung von 1813 fängt wie folgt an: ‚Das Vergangene wird gewusst, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahnt. Das Ewige wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt. Wissenschaft ist schon der Wortbedeutung nach Historie. Sie konnte es nicht seyn, so lange sie als eine blosse Folge oder Entwicklung eigner Gedanken und Begriffte gemeynt wurde. Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, dass der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und  zwar, wie wohl behauptet werden kann, auf eine Art, dass sie es nicht leicht wieder verlieren kann. Von nun an ist es die Entwicklung eines wirklichen, lebendigen Wesens, die in ihr sich darstellt.’ Schelling hat immer wieder an dieser nie vollendeten Schrift gearbeitet. Siehe jetzt Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Weltalter-Fragmente, herausgegeben von Klaus Grotsch, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002 (2 Bände), mit dem Motto: ‘Ich bin der ich war / ich bin der ich sein werde / ich war der ich sein werde / ich werde sein der ich bin’.

[21] Siehe schon der Bericht Rosenzweigs (herausgegeben von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften) aus 1914: ‘Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus’, abgedruckt in Zweistromland 1926 (von Miskotte zitiert in FR, 61), jetzt in GS III, 3-44. Rosenzweig war froh, zu entdecken dass der Text dieser evidenten Abschrift Hegels aus 1796 nicht von Hegel selbst sein konnte, aber Schelling zuzuschreiben sei. Die hier gegebenen Zitate auf den Seiten 26 und 35 in GS III.

[22] Vielleicht hat Miskotte hier 1958 auch an der von Barth (z.B. KD II/1, 583-585 und KD II/2, 84-85) übernommenen altreformierten Lehre vom ewigen Decretum Dei internum gedacht, wie auch prof. E. Maurer sie uns auf der Tagung dargestellt hat.

[23] Miskotte, FR 61.

[24] K.H. Miskotte, Uit de dagboeken 1930-1934, Verzameld Werk 5A, Kampen 1990, 293-294 (20.02.1933, zur Schellings Freiheitslehre  aus 1809). Ähnliche Gedanken haben auch den von Miskotte bewunderten Theologen J.H. Gunning jr. im 19. Jahrhundert fasziniert, siehe L. Mietus, Gunning en de theosophie, Gorinchem 2006, 93ff. Diese Feststellung ist auffallend, denn meistens wird Miskottes Gunninginterpretation als eine Eskamotierung deren ‘theosophischen’ Elemente aufgefasst.

[25] Von Miskotte zitiert in: Wenn die Götter schweigen (München 1963), 206 (in weiterem: WGS).

[26] Vgl. Miskotte, WGS 21: ‘man kann sogar sagen, dass [im Alten Testament] die Zeit mit ihrem Inhalt identisch ist’.

[27] Rosenzweig, ‘Das neue Denken’, GS III 148-149; vgl. Miskotte WJR 297, FR 35. Das Goethezitat findet man bei Miskotte z.B. in WGS 209.

[28] Rosenzweig, op. cit. 150-151 präzisiert: ‘Und nun wird dies grosse Weltgedicht in drei Zeiten nacherzählt. Erzählt doch eigentlich nur im ersten, dem Buch der Vergangenheit. In der Gegenwart weicht die Erzählung der unmittelbaren Wechselrede, denn von Gegenwärtigen, seien es Menschen oder Gott, lässt sich nicht in der dritten Person sprechen, sie können nur gehört und angesprochen werden. Und im Buch der Zukunft herrscht die Sprache des Chors, denn das Zukünftige erfasst auch der Einzelne nur wo und wenn er Wir sagen kann.’

[29] Miskotte, FR 59-60. Miskotte verbindet hier Gedanken Rosenzweigs mit Bemerkungen G. Gusdorfs.

[30] Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung (5736 / 1921), jetzt in: Gesammelte Schriften II, Den Haag 41976, (103-123) 118-119. Dazu Miskotte, FR 35-36.

[31] In seinem Artikel ‘Die Schrift und Luther’ (1926), GS III, (749-772)761-65, setzt Rosenzweig sich mit der Weise auseinander, auf welcher die Wissenschaftler und Übersetzer dieser Theologie des 19ten Jahrhunderts die Wirklichkeit des genauen hebräischen Textes in der Idealität ihrer Auffassungen verdampfen lassen.

[32] Miskotte, FR 36.

[33] Und zwar, ohne dass dieses ‘neue Denken’ damit selbst zur Theologie werden sollte. Eher kommt die Philosophie dem theologischen Denken hier ‘geschwisterlich’ zu Hilfe. Siehe Rosenzweig, ‘Das neue Denken’, op. cit. 152-153.

[34] Rosenzweig, Stern, 120.

[35] Rosenzweig, Stern 113. Ein wenig anders sagt es der Jüdische Forscher Irving Greenberg: ‘The Exodus is a statement of what will be, based on an experience already undergone. Therefore, Jewish faith is not so much a matter of certitude as of testimony’ (zitiert in: Michael Goldberg, Theology & Narrative. A Critical Introduction, Philadelphia 21990, 170).

[36] ‘Grammatik’ ist im zweiten Teil des Sterns die organisierende Disziplin, gleichsam die eigene ‘Logik’ der Erzählung.

[37] Vgl. Rosenzweig, ‘Die Bibelkritik’ (1921), GS III, 747-748: ‘Was sind nun die Grenzen? Sie lassen sich grade am Höchsten erkennen, was sie erreicht: an der “Geschichte des Volkes Israel”. Dies “Volk Israel”- das sind wir ja gar nicht. Und es ist nicht der Autor. Dies “Volk Israel” das sind die Autoren der Bibel in ihre “Milieus”. ‘Dabei ist nur vergessen, dass über den Autoren und über den Milieus der eigentliche Autor steht.’ ‘Die Bibelkritik – nebbich’.

[38] Rosenzweig, ‘Die Schrift und das Wort’ (1925),  jetzt: GS III, 777-783.

[39] Rosenzweig, ‘Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen’ (1928), jetzt: GS III, (817-829)819.

[40] Rosenzweig, op. cit, 821. Beispiele in diesem Aufsatz u.a. aus der biblischen Erzählungen von Bileam, Amalek, Jakob; im Aufsatz ‘die Schrift und Luther’ ausserdem aus dem Buche ‘Namen’ (Exodus), GS III, 761-765.

[41] Obwohl er z.B. WGS, 210 dem niederländischen Urtext einen Absatz hinzugefügt hat.

[42] Siehe z.B. Karel Deurloo, De mens als raadsel en geheim. Verhalende antropologie (‘erzählende Anthropologie’!) in Genesis 2-4, Baarn 1988.

[43] Rosenzweig, z.B. Stern 157; Miskotte, WJR 297ff.

[44] R. Zuurmond kennzeichnet Miskotte folgendermassen: ‘Verkündiger und Schriftgelehrter, Dichter und Philosoph, kurz: Theologe’; ‘Twee voetnoten bij K.H. Miskotte’s theologie van het Oude Testament’, in: K.H. Miskotte, De weg der verwachting (Texte eines Symposions zu seinem 80.ten Geburtstag), Baarn 1975, 24.

[45] Siehe auch, wie Miskotte im Vorwort seines Buches Om het levende Woord (1948) sagt, dass er dort versuchen will, ‘die wissenschaftliche Diskussion auf eine solche Weise zu erarbeiten, dass es zu einem seelsorgerischen Reden mit Seelsorgern kommen kann.’

[46] Miskotte, WGS, Vorwort. Im Niederländischen heisst es: ‘getuigenis en vertolking’ bzw. ‘tolk en getuige’. Ein ‘tolk’ ist buchstäblich ein ‘Dolmetscher’ und ‘vertolken’ ist also ‘verdolmetschen’ (so auch Benni Lochers in seiner Übersetzung des Aufsatzes ‘Das Problem der theologischen Exegese’ in: Theologische Aufsätze. Karl Barth zum 50. Geburtstag, München 1936, 51-77, z.B. 55) – auch im Sinne der Wiedergabe eines Musikstückes. Wahrscheinlich hat H. Stoevesandt, zweifellos mit Zustimmung des Autors, in WGS die Übersetzung ‘Interpret’, ‘interpretieren’ gewählt wegen der Nähe zu damaligen hermeneutischen Fragestellungen. Aber es geht dabei auch etwas verloren.

[47] WGZ 96. ‘Denken’ ist für Miskotte immer ‘Denken von da aus’, d.h. von ‘der simplen Ordnung der Grundlinien der heiligen Schrift und dem Leben aus dieser Ordnung’ aus. ‘Denn Denken ist ein Lebensakt’! Sieh Biblisches ABC (11941, 21966), Neukirchen 1976, 19.

[48] Siehe z.B. den Aufsatz Miskottes in der Sammlung Antwort. Karl Barth zum siebzigsten Geburtstag am 10. Mai 1956, Zürich 1956, 29ff., ‘Die Erlaubnis zum schriftgemässem Denken’: ‘soweit die dialektische Theologie überzeugend geworden ist, ist es durch die zwar nicht immer, aber doch oft und an entscheidender Stelle durchschlagende Evidenz der sie begründenden, begleitenden und regierenden Erklärung der Schrift geschehen’ – also mehr ‘von unten, aus der Erde, aus der blühenden Fläche der Schrift’, und nicht von den neuen Denkfiguren her; denn ‘wir Holländer sind ja ein “bibelfestes” Volk’ (leider muss man ein halbes Jahrhundert später sagen: wir waren das…, rrb).

[49] Miskotte, ‘World without end’ (1955), in: Über Karl Barth’s Kirchliche Dogmatik. Kleine Präludien und Phantasien, Th.E.h n.F. Heft 89, München 1961, 39ff. (jetzt auch in Verzameld Werk 2. Karl Barth: inspiratie en vertolking: inleidingen, essays, briefwisseling, Kampen 1987, 120ff.). In der Betonung der Wirklichkeit der Schrift gibt es wohl eine Gemeinsamkeit zwischen Miskotte und dem Plädoyer für die sensus literalis im theologischen Programm von Hans W. Frei (siehe seinen Theology & Narrative. Selected Essays, Ed. by George Hunsinger and William C. Placher, New York/Oxford 1993, z.B. 208: ‘It’s as simple as that: the text means what is says’). Dennoch findet man bei Miskotte doch eher den Versuch, die Möglichkeiten den Text mit Anderen zusammen zu verstehen maximal auszuweiten. S. unten, par. 4.

[50] In seinen Bemerkungen zur zweiten Auflage von AGZ (1964) hat Miskotte gesagt: ‘Es gibt in diesem Buch nur ein streng theologisches Element, nämlich die Lehre der Zeit (an der Gotteszeit der Inkarnation abgelesen)’, VW 8, op. cit. 411-412. Dies scheint eine Anspielung auf den 14. Paragraphen der Kirchlichen Dogmatik zu sein (‘Die Zeit der Offenbarung’). Dennoch wäre es der Mühe wert, zu untersuchen ob nicht die eigentlichen ‘dogmatischen’ Strukturen des Zeitdenkens in diesem Buch der Rosenzweigschen Philosophie entnommen sind. 

[51] Vgl. J. Muis, Openbaring en interpretatie. Het verstaan van de Heilige Schrift volgens K. Barth en K.H. Miskotte, ’s Gravenhage 1989, 413. Von den Problemen, die sich aus der Verbindung Barth – Rosenzweig ergeben, hat Heinrich Assel uns im vorigen Jahr leidenschaftlich überzeugt: ‘Gottes Namen nennen – Karl Barth oder Franz Rosenzweig?’, ZDTh 22(2006)1, 8-33.

[52] WGS 168; in der niederländischen Fassung, Als de goden zwijgen (1956), jetzt in: Verzameld Werk 8, Kampen 1983, 135 (in weiterem: AGZ), lautet der Schlusssatz: ‘Daarom kan men desnoods en enigszins ironiserend, met Rosenzweig, spreken van een “erzählende Philosophie”.’ L. van der Meer, De magie van de Naam. Over noodzaak en methode van het joods-christelijk leergesprek, Zoetermeer 1997, 146 spricht umittelbar von ‘der Ironie Rosenzweigs’ und ist offenbar aufgrund dieser Bemerkung Miskottes der Meinung, das der Ausdruck schon von  Rosenzweig ironisch gemeint war. Man kann sicherlich bezweifeln, ob das bei Rosenzweig der Fall war, aber doch auch ob Miskotte solches hätte suggerieren wollen.

[53] Es gibt noch eine dritte Stelle. Sie findet sich im Kapitel ‘Die offene Zukunft’, das auf das Kapitel ‘Die Erzählung’ folgt. Dort heisst es: ‘Als Wort, als Zeugnis, als Aufruf, als Trostrede und Verheissung steht das Alte Testament der Offenbarung nicht ferner als das Neue; sie stehen in gleicher Funktion als Träger der Autorität und als Helfer. Aber als “Erzählende Philosophie“ besitzt das Alte Testament eine besondere Kraft zur Konkretion in der Darstellung des Laufes der Zeiten auf eine offene Zukunft hin’, WGS 215.

[54] Ein Überschuss, der als ‚Rand von Gedanken’ bleibt, wenn die beide Testamente ‚in ihrer wesentlichen Substanz und Tendenz zur Deckung gebracht sind’, WGS 177.

[55] WGS 203-211; AGZ 159-166; in WGS ist vorher ein Kapitel ‘Die Taten Jahwes’ hinzugefügt worden (196-202). Dadurch wird der Zusammenhang: der eine Name wirkt in einer Fülle von Taten, welche nur erzählt werden können, viel kräftiger. Mir recht sagt H. Stoevesandt im Nachwort der Neuauflage von AGZ im Verzameld Werk, op. cit. 427: ‘Miskotte schöpft hier unverkennbar aus seinem älteren Buch Biblisches ABC. Hatte er eine Scheu sich selbst zu wiederholen? Setzte er bei seinen Lesern Bekanntschaft mit dem früheren Buch voraus? Sonst müsste man sagen, dass dieses Kapitel auch schon in AGZ nicht hätte fehlen dürfen.’ Auf dem Kapitel zum Erzählen folgt ‘De Voleinding’ (AGZ) / ‘Die offene Zukunft’ (WGS). Dies entspricht der Einsicht Rosenzweigs: die Erzählung von Schöpfung und Offenbarung will immer auf die Erlösung hinaus! (Miskotte: ‘die Taten Gottes sind Zeichen und Unterpfand einer offenen Zukunft’, WGS 211).

[56] In dieser Hinsicht hat die spätere Welle der ‘narrativen Theologie’ Miskotte recht gegeben.

[57] Die These des sakramentalen Charakters der protestantischen Predigt ist in Miskottes hermeneutisch-homiletischer Studie Om het levende Woord (1948) entscheidend. Bekanntlich würde der spätere Barth da nicht mehr mitmachen.

[58] Vgl. Biblisches ABC, op. cit. 17: ‘Die Gefahr (ist), dass wir reden und reden und an unser eigenes Gerede und Rechthaben oder Rechthabenwollen glauben, bevor wir, jeder für sich und gemeinsam, gesehen haben, dass die Autorität voraufgeht.’ Wobei zu bedenken ist: ‘Autorität (niederländisch: ‘gezag’) ist hier identisch mit dem Gesagten  (‘het gezegde’) selber, sofern dieses sich uns in seiner eigenen Art darbietet.’  Miskotte hatte mehr Gespür für die literarische Form der Schrift als Barth meistens zeigt (vgl. J. Muis, op. cit. 433-439). Aber die andere Seite ist, dass er sich niemals hätte abfinden können mit einer nur strukturalistischen close reading, welche den Charakter des biblischen Textes als Botschaft veruntreuen würde; siehe den Brief an K.A. Deurloo von 22. Februar 1968, zitiert bei E.J. de Weijer, De Naam op de Toverberg. De denkfiguren uit Thomas Manns “Zauberberg” als transparanten voor de cultuurkritiek van K.H. Miskotte, Zoeterwoude 1997, 278.

[59] Es ist, alsob Miskotte hier die künstlerischen Schichten seiner eigenen Seele evoziert.

[60] Gerrit Neven ist der Meinung, dass Miskotte tatsächlich ein solcher Erzähler gewesen ist; siehe G.W. Neven, ‘Opstanding als motief van het verhaal bij K.H. Miskotte’, in G.C. den Hertog / G.W. Neven 1993, op. cit. 59-74.

[61] Es gibt eine offensichtliche Ähnlichkeit zwischen Rosenzweigs Triade Schöpfung – Offenbarung – Erlösung und Barths Triade Schöpfung – Versöhnung – Vollendung; s. F.H. Breukelman, ‘Versöhnung (als die Mitte des Evangeliums und der Theologie)’, in: Bijbelse Theologie IV.2. Theologische Opstellen, Kampen 1999, 262-298. Wenn Miskotte darauf anspielt, diese Ordnung sei notwendig , geht er weiter als Barth selber tut (cf. KD I/2, 984 zur ‘Anspruchslosigkeit’ der gewählten Reihenfolge).

[62] Miskotte, VW 2, op. cit. 413f.

[63] Man hat Miskotte sehr missverstanden, wenn man sagt: ‘Das Alte Testament bekommt hier den Charakter des Materials zur Illustrierung einer “Lehre”, einer Sammlung theologischer Themen’; so C. Houtman, De Schrift wordt geschreven. Op zoek naar een christelijke hermeneutiek van het Oude Testament, Zoetermeer 2006, 161.

[64] Dabei ist vorausgesetzt, dass die Lehre nicht nur als eine Schlussfolgerung der Erzählung folgt, sondern auch schon mit der ‘Komposition’ der Erzählung selbst gegeben ist. Auf der Tagung stellte sich auf diesem Punkt eine Divergenz mit den Erörterungen prof. D. Ritschls heraus.

[65] WGS 231f., das Kapitel ‘Die Thora’. S. auch:  Biblisches ABC, das Kapitel 2: ‘Lehre’, op. cit. 23-35.

[66] Rosenzweig, ‘Das Formgeheimnis der biblischen Erzählungen’, op. cit. GS III, 821-822.

[67] GS III, 820.

[68] Vgl. Miskotte, WGS 202: ‘Schade, dass das spätere Judentum sie (die Erzählung) als eine Illustration des Gesetzes verstanden und diese Vorstellung über die ganze Schrift ausgedehnt hat.’

[69] Vgl. die klassische Studie Erich Auerbachs, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, von Miskotte in der Auflage von 1946 benutzt. In seiner Darlegung der Unterschiede zwischen der homerischen und der alttestamentlichen Literatur führt Auerbach an (op. cit., S. 17), dass die letzte nicht nur ‘erzählte Wirklichkeit’ bietet, sondern dass in ihr Lehre und Verheissung in die Erzählungen inkarniert sind, sodass sie untrennbar darin verschmolzen liegen. Die Erzählungen sind absichtlich so komponiert, dass sie einer Erklärung bedürfen, und zwar nicht nur in exegetisch-technischem Sinn, sondern auch in der Lebenspraxis der Leser.

[70] Vgl. WGS 202: ‘Das Erzählen ist wiederum Wort, aber in einem abgeleiteten Sinne, ganz menschliches Wort, nicht das Tatwort Gottes selbst (…): die Weisung, welche von den ursprünglichen Taten JHWH’s ihr Licht empfängt, um das kontingente Geschehen in dem Kontinuum der Überlieferung, der Tradition, des Gedächtnisses, in dem Bleibenden der Lehre zu vergegenwärtigen.’

[71] Miskotte, Biblisches ABC, op. cit. 31: ‘So besteht für uns aller Grund, in Entsprechung (!) zu dem synagogalen Fest der Gesetzesfreude die Freude an der Lehre zu erleben, zu feiern.’

[72] S. z.B. G.G. de Kruijf, ‘Miskottes phänomenologische Kulturbetrachtung’, ZDTh 5(1989)1, 9-20.

[73] Der schon genannte Beitrag ‘Das Problem der theologischen Exegese’ in der Barth-Festschrift von 1936, in welcher diese Triade entfaltet wird, hatte in den Niederlanden eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Eine ausführlichere Fassung erschien zuerst 1933 in einer Textsammlung niederländischer dialektischer Theologen De openbaring der verborgenheid, 65-99 und später noch ausführlicher als erstes Kapitel des Buches Om het levende Woord (1948).

[74] Ich bin nicht sicher, ob man den Nihilismus, den Gesprächspartner der Studie Wenn die Götter schweigen, auch eine solche ‘Erzählung’ nennen darf.

[75] Obwohl ‘heidnische Lehre’ eher ‘Welterklärung, Erhellung des Welträtsel’ ist und ‘jüdische Lehre’ eher ‘sittliche Ermahnung, Ausgestaltung und Anwendung der Rechtsordnung eines sakralen Volkes’; Biblisches ABC, op. cit. 24.

[76] Zu ihrer Vergleichbarkeit vgl. Edda en Thora, jetzt in: Verzameld Werk 7, Kampen 31983, 40ff.

[77] Vgl. F.W. Marquardt, Von Elend und Heimsuchung der Theologie. Prolegomena zur Dogmatik, München 1988, 254-258; P.J. Tomson, ‘Miskotte und das jüdisch-christliche Gespräch’, Nederlands Theologisch Tijdschrift 44(1990)15-34; einen Überblick der Diskussion bis zum Anfang der neunziger Jahre bietet Den Hertog, in G.C. den Hertog / G.W. Neven, op. cit. 114-123; auch ders., ‘Geding over de vervulling der wet. Naar aanleiding van K.H. Miskotte, Het wezen der joodsche religie. Over predestinatie tegenover correlatie, en over heiliging en ethiek’, in: W. Dekker, G.C. den Hertog und Tjerk de Reus (hrsg.), Het tegoed van K.H. Miskotte. De actuele betekenis van zijn denken voor de gereformeerde theologie, Zoetermeer 2006, 69-102.

[78] Ein Ausdruck, geprägt von Stanley Hauerwas; zitiert von M. Goldberg, op. cit. 177.

[79] Es ist klar, dass wir hier H.F. Kolhbrugges Lektüre des Alten Testamentes hören, die für Miskotte das Gegengewicht zur jüdischen Exegese bildet.

[80] WGS 210; s. oben, den Par. 2.2.

[81] Der Begriff der ‘clôture’ habe ich derzeit im viel diskutierten Buch von Fernando Belo, Lecture matérialiste de l’évangile de Marc: Récit – Pratique – Idéologie, Paris 1976, kennengelernt , z.B. 47, 48, 56. Belo nennt einen Text ‘geschlossen’, wenn dieser nur noch die gegebenen gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen ideologisch zu reproduzieren vermag. Das Evangelium liest er dagegen als einen Text, der durch das Erzählen einer neuen Praxis diese Voraussetzungen und Vorverständnisse durchbricht.

[82] Neben der Aufnahme in zwei Textsammlungen (1954, 1966) jetzt zu finden in: Verzameld Werk Band 2. Karl Barth, op. cit. 153-170. Die Ziffern im  Text beziehen sich auf diese Auflage.

[83] K. Barth, KD III/3 (1950), § 50.3, 383-402.

[84] Ich danke Dick Boer für diese – und nicht nur für diese – Hinweise.

[85] Miskotte, Uit de dagboeken 1935-1937, samengesteld en toegelicht door A.C. den besten, H. Breebaart-Miskotte en E. Kuiper-Miskotte, Verzameld Werk deel 5b, Kampen 2001, 118. Die Notiz steht in Zusammenhang mit dem Vorhaben, das Kohlbruggebuch aus 1928/29 doch zu vollenden.

[86] Miskotte lobte immer wieder an der Barthschen Gotteslehre in KD II/1, dass dort diese theologische Seinsmetaphysik verabschiedet wurde. Dennoch war diese Lehre für ihn ‘israelitisch’ und nicht ‘jüdisch’, d.h. sie war eher eine Stärkung als eine Infragestellung der klassisch-reformatorischen Rechtfertigungslehre.

[87] Röm. 8:32 (Luther).

[88] Miskotte, Uit de dagboeken 1930-1934, samengesteld en toegelicht door A.C. den Besten, H. Breebaart-Miskotte en E. Kuiper-Miskotte, Verzameld Werk deel 5a, Kampen 1990, 293.

[89] Heidelberger Katechismus, 5. Sonntag, 12. Frag, Antwort.

[90] Diese letzte Erwägung findet man doch auch schon im Wezen der Joodse Religie ausgesprochen, op. cit. 531: ‘Nicht das Volk ist [im Bekenntnis: “Jesus Kyrios”] der Sohn, sondern er, der wahrlich der Sohn ist, tritt an die Stelle des Volkes. Er tritt an die Stelle des Volkes, weil er sich wahrlich in der Korrelation [mit dem Vater] befindet und in dieser stand hält.’ Wenn man die ‘Stellvertretung’ in diesem Satz nicht zu absolut nimmt, braucht man in diesem Punkt also schon die Schlusskapitel der Dissertation nicht nur als eine Antithese zum Judentum zu lesen.

[91] Der Schlusssatz – ‘Das meritum Christi scheint mir im Widerstreit mit der Lehre der Enhypostasie zu sein’ – unterstreicht, wie sehr Miskotte hier die anselmische Lehre als den altkirchlichen Dogmen gegenüber ‘häretisch’ versteht.

[92] Vgl. auch eine frühere Notiz (Miskotte, Uit de dagboeken 1917-1930, samengesteld door E. Kuiper-Miskotte en H.H. Miskotte, Verzameld Werk 4, Kampen 1985, 510:) ‘Ich las bei Anselm, dass Gott auch deshalb die Schändung seiner Ehre nicht mit der Vergebung erwidern kann, weil der Mensch dafür zu hoch steht’. (Siehe z. B. Cur deus homo? I. cap. xii: ‘est et aliud quid sequitur, si peccatum sic impunitum dimittitur: quia similiter erit apud deum peccanti et non peccanti ; quod deo non convenit’, rrb). Ich danke Gerard den Hertog für diesen Hinweis.

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R.H. Reeling Brouwer

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