Eberhard Busch, zusammen mit Barbara Schenck und Stefania Centofanti (Hrsg.), Die Akte Karl Barth. Zensur und Überwachung im Namen der Schweizer Neutralität 1938-1945, Zürich: TVZ 2008, 768 S.
CHF 72.00 ISBN 978 3 290 17458 3
Im Band Eine Schweizer Stimme, in welchem Karl Barth die ‘theologisch-politischen Traktate’ sammelte, die er in den Jahren 1938-1945 in der Schweiz und von der Schweiz heraus als seinem Beitrag zur Fortsetzung des deutschen Kirchenkampfes verfasst hatte, findet man schon einige Hinweise: beim Vortrag ‘Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit’ (seit November 1940 mehrmals, während des Frühlings 1941 auch in der Westschweiz gehalten) die Bemerkung: ‘Von der Zensur verboten mitten Juni (genauer: am 28. Juni) 1941’; ‘Ein Brief aus der Schweiz nach Grossbritannien’ (April 1941): ‘Von der Zensur verboten am 31. Juli 1941’; ‘Im Namen Gottes des Allmächtigen! 1291-1941’ (ein 6. Juli auf Deutsch und 13. Juli auf Französisch für tausenden Zuhörer gehaltener Vortrag beim 650-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft, der schon in einer grossen Auflage gedrückt worden war): ‘Von der Zensur verboten am 18. Juli 1941’; ‘Weihnachsbotschaft an die Christen in Deutschland’ (Londoner Rundfunk Dezember 1941): ‘Von der Zensur verboten am 5. Januar 1942’. Obwohl briefliche und andersartige Aüsserungen noch wohl einige additionale Informationen boten, waren die Diskussionen unter den Behörden, die zu den Zensurmassnahmen geführt haben, bis vor kurzem unbekannt. Auch Karl Barth selber hat seine ‘Akte’ nie gesehen.
Erst die Arbeit und die Wirkung der sog. Bergier-Kommission in den Jahren 1996-2001, die den Auftrag hatte, Umfang und Schicksal der vor, während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz gelangten Vermögenswerte historisch und rechtlich zu untersuchen, hat aber ein Klima geschaffen, in dem es möglich wurde die benötigte Ressourcen zur erwerben und auch die benötigte Mitarbeit der Bundesarchive zu erhalten, diese Akte doch herauszugeben, und damit an der Auswertung der Schweizerischen Neutralitätspolitik im Zweiten Weltkrieg und des Elements der Kollaboration in ihr beizutragen. Es war ein Team der Karl Barth-Forschungsstelle an der Georg August-Universität Göttingen die dann, unter der Mitarbeit von vielen, die Riesenarbeit dieser Herausgabe geleistet hat.
Insgesamt sind 456 Dokumente aufgenommen. Diese sind sehr unterschiedlicher Natur. Im Zentrum stehen, sicherlich in den ersten Kriegsjahren, die Schritte welche die Abteilung Presse und Funkspruch im Armeestab einem Grunderlass am Anfang des Krieges von 8. September 1939 (S. 699ff.) zufolge zur Beurteilung öffentlicher Aüsserungen zum Krieg zu unternehmen hatte. Im Fall der Veröffentlichungen Barths war namentlich die Sektion Buchhandlung zuständig, deren Leiter Herbert Lang der Sache Barths bestimmt nicht unsympatisch gegenüber stand, am 3. Mai 1941 auch ein wohlwollendes Gepräch mit ihm führte (S. 161) nach den Beschlüsse im Sommer 1941 aber kaum noch eine Rolle in diesen Akten spielt (das Verbot eines Vortrages in Muristalden in September 1941 wurde z.B. vom kantonalen Polizei erteilt, S. 361). Dazu gibt es Korrespondenz mit Verlegern, die ja oder nein ihren Texte von Vornherein den Behörden zuschickten (für mich war dabei die Bemerkung Richard Poydas vom Ev. Buchhandlung St. Gallen interessant: ‘Die Lektüre des soeben erschienen Buches “Der Einfall in die Niederlande” von Van Kleffens – Aussenminister der Londener Exilregierung, rrb – hat mir nochamls bestätigt, dass es absolut nichts nützt, aus Furcht vor dem national-sozialistischen Staate zu schweigen’, S. 177). Weiter trifft man Gutachten welche Experte zu den ihnen vorgelegten Texten aufstellten, oder Gutachten welche Staatsanwälte zu den juristische (Un)möglichkeiten bestimmter Strafmassnahmen entwarfen (in Dezember 1943 wurde sogar noch die Möglichkeit eines ‘emprisonnement’ Barths erwogen, S. 655), und weiter z.B. diplomatische Verwahrungen der deutschen Gesandtschaft zu Bern und andere Instanzen im deutschen Reich gegen die vermeintlichen Barthschen Hilfe zur feindlichen Propaganda. Sodann gibt es die Ergebnisse der Überwachung von Barths Telefon und Telegrammverkehr vom 5. Februar 1942 bis in die Frühlung 1943 (als die Aussichten im Krieg sich kehrten und es weniger nötig war auf den Deutschen Beschwerden Rücksicht zu nehmen), von Barth übrigens in Oktober 1942 entdeckt (S. 571) und seitdem deshalb ziemlich erfolglos (mit dem britischen Konsul redete er am Telefon am 1. Februar 1943 nur ‘in einer verschlüsselten Sprache’, S. 601). Weiter kommt heraus, dass die Zurechtweisung durch die Kuratel der Universität Basel wegen des Londener Rundfunkauftretens ‘An die Christen in Norwegen’ in April 1942 (S. 556f.), welche in der Schweizer Stimme schon erwähnt war, erfolgte nachdem Von Steiger hatte feststellen müssen, dass die gezetslichen Grundlagen für ein Auftreten des Bundesrates ‘sehr dürftig’ waren (531).
Barth selber ist vertreten mit Nachfragen wenn die Verfahren schleppend wurden, mit rechtlich eingebrachte Rekurse, mit Erkundigungen zu den von ihm gesammelten Fakten über die Dienste welche der Schweiz zugunsten der deutschen Kriegswirtschaft lieferte, mit konkreten menschenrechtlichen Interventionen (wie die für die Juden in Ungarn, Juni 1944; S. 673ff.) und vor allem mit seinen Versuchen, dem Bundesrat Eduard von Steiger, Vorsteher des Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartements, anzureden, der ein Studien- und Verbindungsfreund von ihm war, alle Versuche zu einem mündlichen Gedankenaustausch mit ihm zu kommen aber entwichen hat. Einmal stellt Von Steiger Barth die Rückfrage ‘ob dann gerade Sie berufen sind, durch politische Öffentliche Vorträge und Druckschriften, wenn auch ‘in kirchliches Gewand gehüllt’, die Aufgaben und Notwendigkeit des schweizerischen Staates zu verfechten’ (S. 203f.). Er meint also, dass der Theologe sich nicht in die Angelegenheit des Staates einzumischen hat, auch wenn Barth kraft des reformierten Bekenntnisses anderer Meinung ist. Stattdessen sah Barth sich von seiner Seite tatsächlich dazu berufen, die geistliche Voraussetzungen des Widerstandes, welcher nicht im Widerspruch mit dem militarischen Neutralität der Schweiz sei, zu klären und zu stärken. Man kann sich nach der Lektüre der Akte gut denken, weshalb er sich im Vorwort der Schweizer Stimme ironisch vom Von Steigers Nachkriegssprache abgrenzt, obwohl er damals davon abgesehen had, die Briefwechsel mit ihm in diesem Band aufzunehmen. Übrigens fand Barth auch Verwandten in der Armeestab und in der Kirchenleitung (Max Wolff, S. 374ff.), obwohl sicherlich nicht die ganze Kirche ihm Beifall äusserte.
Der Vorwurf von Seiten der Behörden inzwischen, ‘in kirchliches Gewand gehüllt’ Politik, und nur Politik nachzustreben, womit sie ein Gespräch zu den geistlichen Voraussetzungen des zweifelsohne auch politischen Engagements aus dem Wege gehen, ist einem nicht unbekannt der, wie ich, seinen eigenen Geheimdienstakte aus einem anderen Zusammenhang (nämlich dem kalten Krieg) einsehen zu können. Soweit besagt diese Dokumentierung nicht nur einiges von der Feigheit und Halbheit in der Schweiz unter den schwierigen Bedingungen damals, aber hat sie eine bleibende Aktualität. Das gilt auch, wenn Conrad Gelzer, de Advokat in der Sache seines Auftreten für die alliierte Rundfunk, schreibt: ‘Was den Schlusspassus des Schreibens (von der Abt. Presse und Funkspruch) anbelangt…, eine rechtliche Massnahme hingegen ist formaljuristisch nicht möglich. Die Not dieses sogenannten Notrechts besteht ja gerade darin, dass es überhaupt kein Recht mehr ist.’ Leider gibt es genügend Situationen in der Welt, wo es ein solches Notrecht, das kein Recht mehr ist, in überflüssigem Masse gibt. Und deshalb ist Wachsamkeit noch immer geboten.
Rinse Reeling Brouwer