Beziehung als Grundkategorie im Reden von Gott und vom Menschen
Am Beispiel Augustins
Wenn etwas Neues geschieht, braucht man eigentlich auch eine neue Sprache, geeignet um das Neue entsprechend neu zu erzählen. Das geht aber nicht so einfach. Meistens muss man bis an die Grenzen der alten Sprache gehen, um das Neue, das man erfahren hat, doch auszusprechen. So hat der afrikanische Christ Augustin mit der überlieferten philosophischen Sprache und deren Kategorien gerungen, wenn er zum Ausdruck bringen wollte, was die Erkenntnis, nur durch Jesus, den Sohn, zum Vater, d.h. zum Gott Israels kommen zu können (Joh. 14, 6), für das Reden und Denken über Gott, und dann auch über den Menschen, bedeutete.
In seinen Bekenntnissen erzählt Augustin, wie er im Jahr 374 (er war damals zwanzig Jahre alt) Aristoteles’ Schrift über die Kategorien, auf welche seine Rhetoriklehrer in Karthago sich basierten, (in lateinischer Übersetzung) las und sogar verstand (Conf. IV.16.28-29). Primär wird darin von jedem Ding ausgesagt, es sei Substanz, ein bestimmtes ‚Dies-da’ in seiner Singularität. Die Substanz heiβt deshalb auch die erste Kategorie. Sie ist ein Ding ‚an sich’. Sekundär werden dann von dieser Substanz die ‚Eigenschaften’ aufgezählt, die sie haben kann, die aber mit der Substanz nicht identisch sind: 2. Quantität (wie groβ), 3. Qualität (welcher Art), 4. Relation (in Bezug auf was), 5. Ort (wo), 6. Zeit (wann), 7. Lage (in welcher Situation), 8. Haben (im Besitz von was), 9. Tun und 10. Erleiden. Augustin war die biblische Botschaft (seine Mutter hatte ihn christlich erzogen) zu dieser Zeit fremd geworden. Er war aber ein leidenschaftlicher Gottessucher. Deshalb, so erzählt er, versuchte er Gott im Sinne dieser Philosophie als Substanz zu verstehen, als die Grundlage für alles, was weiter von ihm ausgesagt werden könnte, z.B. seine Gröβe. Aber es stellte sich heraus ein schwieriges Unternehmen zu sein. Denn kann man von Gott wie von Körpersubstanzen sagen, dass er manchmal solche ‚Eigenschaften’ besitzt, manchmal aber auch nicht? Hat er z.B. eine bestimmte Macht, die er so oder so, ja oder nein, anwendet oder nicht anwendet, wie die Götter aus den homerischen Erzählungen sich in ihrer Parteilichkeit verhalten (und die deshalb von manchen heutigen Befürwortern des Pluralismus bewundert werden)? Oder ist er seine Macht, seine Übermacht, als der Gott des Friedens, der er ist? Muss man sagen: er hat Liebe, oder ist er die Liebe selber? Und so weiter. Aber wenn man so fragt, kann man Gott dann noch als eine Substanz identifizieren? Es sei denn, man erklärte ihn, wie Spinoza das viele Jahrhunderte später getan hat, zur einzigen Substanz. Dann jedoch müsste man wieder die Singularität aller Dinge leugnen, die Aristoteles interessanterweise wohl anerkannte. Der junge Augustin war, wie er später gestand, nicht imstande hier weiter zu kommen.
Wir machen einen Sprung in der Zeit. Der Gottessucher Augustin hat sich letztendlich doch taufen lassen. Er ist Presbyter geworden und wurde dann zum Bischof berufen. Neben seinen vielen seelsorgerlichen Aufgaben und zahlreichen administrativen Verpflichtungen sucht er in der wenigen Zeit, die ihm bleibt, die Stille der Studierstube. 381 war in Konstantinopel ein Konzil zusammengerufen worden, das versucht hat mit der Verfassung eines gemeinsamen Credos (Glaubensbekenntnisses) den schon ein Jahrhundert dauernden Streit um die Gottheit des Sohnes und später auch des Heiligen Geistes zu beenden. Die leidenschaftlichen Diskussionen in der griechischen Kirche blieben auch im lateinisch sprechenden Teil der Welt nicht unbekannt – u. A. Hilarius von Potiers hat die einschlägigen Texte übersetzt. Aber Augustin lag daran die Implikationen des sog. Credo Constantinopolitanum selbst und in seiner eigenen Sprache zu durchdenken. Und so arbeitete er 399-419 an seinen fünfzehn Bücher umfassenden De Trinitate (Über die Dreieinheit). Dabei trifft er, nachdem er sich in den ersten vier Büchern mit der Schrift beschäftigt hatte, wieder auf die ihm schon vertraute Kategorienlehre.
Das Credo spricht vom Vater und vom Sohn. Konnte man diese Namen als Substanzen bezeichnen? Die griechische Begrifflichkeit des Credos legte diese Möglichkeit nahe: der eine Gott, Vater, Sohn und Geist als ‚eine ousia, drei hypostaseis’. Aber diese Formel, übrigens auch im Griechischen der Versuch einer neuen Sprachregelung, war ins Lateinische nicht gut mit ‚eine essentia, drei substantiae’ zu übersetzen (De Trin. V.8.10). Denn essentia und substantia bedeuten im Lateinischen dasselbe: das ‚Wesen’ von etwas. Bedeuteten die drei substantia dann nicht drei ‚Wesen’, also: drei Götter? Aber Augustin fragt weiter: was meinen wir, wenn wir vom Vater und vom Sohn sprechen? Deutet nicht Vater immer auf eine Beziehung zum Sohn (oder zur Tochter)? Und deutet nicht Sohn immer auf eine Beziehung zum Vater (oder zur Mutter)? Und gilt ähnliches nicht auch für einen Begriff wie principium (Anfang), womit wir das Erzeugen eines Sohnes durch den Vater bezeichnen (De Trin. V.13.14)? Inzwischen war auch die Kirche allmählich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass ‚man nicht kann glauben, dass Gott Vater jemals auch nur den geringsten Augenblick ohne die Zeugung der Weisheit [= des Sohnes] existiert habe, wenn man auch nur ein wenig fromm von Gott zu denken gelernt hat’, dass er also ‚beständig Vater seines eingebornen Sohnes ist’ (Origenes, De Princ. I.2.2). Es gab also keine Zeit, dass der Vater etwas anderes als Vater war und der Gezeugte, der Sohn also, etwas anderes als im ewigen Anfang bei seinem Vater (Joh. 1, 1-2). Wenn dies aber so ist, dann, meint Augustin, bezieht sich der Name des Vaters wie der Name des Sohnes nicht auf eine göttliche Essenz ‚hinter’ den Namen. Faktisch kann eine solche Essenz nur in den Namen gefunden werden. Hier greift die aristotelische Kategorienlehre entschieden zu kurz. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, in der Bibel ist die Kategorie der Substanz nicht die primäre Kategorie! Dieser Vater ist niemals ohne seinen Sohn und dieser Sohn existiert kraft seiner immerwährenden Zeugung immer als Sohn seines Vaters. Das heiβt: vorherrschend ist die Kategorie der Beziehung, die Kategorie der Substanz ist zweitrangig. Denn der Vatername bezeichnet eine Beziehung, der Name des Sohnes ebenfalls. Deshalb darf man Beiden die Kategorie der Substanz zusprechen.
Lässt man die Konsequenzen dieses Gedankengangs auf sich einwirken, dann muss man sagen, hier hat sich in der Spätantike eine ‚Revolution der Denkart’ (Kant) vollzogen. Der übliche Gedanke war: primär gibt es eine Substanz, einen Körper mit einer Seele. Dieser Substanz konnte man zahlreiche Prädikate und Qualitäte beilegen, unter anderen die Eigenschaft sich auf anderen Substanzen zu beziehen: die sekundäre Kategorie der Beziehung, des ad aliquid (‚in Bezug auf’). Augustin jedoch sagt es genau umgekehrt: von diesem Gott, den ich durch Jesus, den Sohn, erkannt habe, kann ich nur als vom ewigen Vater des Sohnes sprechen, oder als vom ewigen Sohn des Vaters. Also: nur in der Beziehung vom einen Du zu einem anderen Du und vom anderen Du zu dem einen Du – und erst dann von einem Er, der in diesen seinen Beziehungen ist (Ex. 3, 14). Das göttliche Sein ist ein Sein-in-der-Beziehung, nicht nachträglich, sondern vom Anfang her. Und dieser eine und einzige Gott ist nur Gott als der in diesen seinen Beziehungen Seiender.
Nun gab es im Lateinischen seit Tertullian noch eine andere Formel für die göttliche Trinität: ‚eine essentia, drei personae’ (De Trin. VII.4). Aber auch diese Formel bereitet Augustin, wie er sagt, groβe Probleme: ‚Ich und der Vater sind eins’ (Joh. 10, 30). In diesem Satz geht es nicht um einen abstrakten Begriff der Einheit, sondern um eine personale Identifikation: ‚wir sind eins’. ‚Fragt man aber, was diese drei sind, dann ist die menschliche Rede in großer Not’ (De Trin. V.8.10). Dennoch wagt er es, den Begriff der Person von der Entdeckung der grundlegenden Bedeutung der Beziehung her zu denken. Eine göttliche Person ist für ihn nicht die Eigenschaft einer dieser Person zugrundeliegenden Substanz, sondern die Art, wie diese jeweils als Vater, Sohn oder Geist erscheint. Auch beim Menschen ist dementsprechend die Personalität die Art, wie er in seiner Singularität da ist. Mit diesen Überlegungen folgt Augustin eine andere Linie als Boethius († 524). Dieser definierte die Person als naturae rationabilis individua substantia (die unteilbare Substanz einer vernünftigen Natur), das heiβt substanzartig als ein Ding unter den Dingen. Eine Definition, die in der westlichen Geistesgeschichte viel einflussreicher gewesen ist als die von der Relation her denkende Definition Augustins.
Vom Heiligen Geist war bisher noch fast nicht die Rede. Dieser ist nach Augustin kein zweiter Sohn des Vaters, weil er nicht geboren, sondern geschenkt worden ist (non natus, sed datus). Was aber geschenkt wurde, hat eine Beziehung sowohl zu dem, der gibt, als auch zu denen, denen er gegeben hat. Deshalb heiβt der Geist nicht nur Geist des Vaters und des Sohnes, die ihn schenkten, sondern auch der Geist, den wir empfangen haben (De Trin. V.14.15). Die hier gemeinte Relationalität umfasst also nicht nur die Beziehungen innerhalb des göttlichen Seins. Es gibt offenbar auch Menschen, die in dieser Relationalität einbezogen werden. Der Sohn, der immerwährend als Sohn des Vaters existiert, ist Mensch geworden. Und der Heilige Geist ist es, der aus Gnade den Schwestern und Brüdern des Sohnes die Gabe der Kindschaft Gottes schenkt. Er holt sie sozusagen in die innergöttlichen Beziehungen hinein, lässt sie am göttlichen Sein-in-der-Beziehung teilnehmen. Man kann es aber auch andersherum betrachten. Das wichtigste Buch der Bibel war für Augustin zweifellos das Buch der Psalmen. Er kommt immer wieder darauf zurück. Fragt er sich, wer der ‚ich’ sei, der in den Psalmen das Wort ergreift, dann lautet seine Antwort in letzter Instanz: dieser ‚ich’ ist der totus Christus, der Sohn Gottes als Mensch unter den Menschen, der nicht nur für die Seinigen, sondern vor allem mit den Seinigen betet, klagt, schreit, frohlocket usw. In seinem Gebet zum Gott Israels beten alle messianischen Menschen mit. Existiert der Sohn Gottes nur in seiner Beziehung dieses einen Du zum anderen Du des Vaters, dann ist es offenbar so, dass diese, seine Existenz kraft der Gabe des Heiligen Geistes immer schon eine inklusive Existenz ist. Das Du-Sagen des Sohnes zum Vater ist als messianisches Reden ein Du-Sagen des totus Christus, in welchem die Seinigen mit aufgenommen sind.
Eine Bemerkung noch zum Schluss. Man hört oft, vor allem in evangelikalen Kreisen, wie Menschen dazu aufgerufen werden eine ‚Beziehung zu Jesus’ zu entwickeln. Was ist dazu mit Augustin zu sagen? Erstens müsste man m.E. sich dagegen verwahren zurückzufallen ins alte Substanzdenken. Man fängt nicht mit dem eigenen Sein an, um sich dann nachträglich auf diesen Anderen, auf Jesus, zu beziehen. Man wird ja durch die Gabe des Heiligen Geistes in eine schon existierende Beziehung mit hineingenommen. Und zweitens ist zu bedenken: diese Beziehung bedeutet die Teilnahme am Leben des Sohnes als ein Du, dem Du in Beziehung zum Vater. Genau genommen ist diese Beziehung keine Beziehung zu einem Jesus ‚an sich’, sondern eine Beziehung in Jesu (in toto Christo) zum Vater, d.h. zum Gott Israels.