Zu: Árpád Ferencz, Der Einfluss der Theologie Karl Barths auf die Reformierte Kirche Rumäniens, 352 S., Zürich: TVZ 2005, ISBN 3-290-17356-9
Die Theologie Karl Barths hat in vielen Kontexten in vielerlei Hinsicht Einfluss ausgeübt. Erst nach und nach werden die Daten dieses Einflusses gesammelt und es kann ein Anfang mit so etwas wie einer vergleichenden Rezeptionsgeschichte der Barthschen Theologie gemacht werden. Die Zeit scheint auch deshalb dafür reif zu sein, weil heute sowohl eine lebendige mündliche und in einheimischer Sprache verfasste Überlieferungsgeschichte oft noch da ist, während inzwischen zugleich genügend theologiegeschichtlicher Abstand besteht für eine selbständige Würdigung der zeitgenossischen Befürworter und Gegner Barths. In diesem Zusammenhang ist die Untersuchung von Ferencz Árpád, der als Doktorarbeit in Zürich 2004 verteidigt worden ist, wohl als eine vorbildliche Arbeit zu bezeichnen. Sie liefert einen Baustein eines zukünftiges Gebäudes, welches sich nur als ein gemeinsames Projekt vieler Untersucher aus vielen Nationalitäten denken lässt.
Das Buch setzt ein mit einem breiten Überblick der Geschichte Siebenbürgens und ihrer Reformierten Kirche, die im Westen Europas leider nicht allgemein als bekannt vorausgesetzt werden kann und deshalb in ihrer Breite für gerechtfertigt gehalten werden darf. In dieser Perspektive wird klar, wie groß die Aufgaben einer Reformierten ‘Landes’kirche, die sich nach dem 1. Weltkrieg durch die Beschlüsse des traumatischen Trianonvertrags plötzlich im Rumänischen Staat zurechtfinden musste, waren. Die Versuchung war groß, in die Lage einer bedrohten Minorität versetzt, Ethnizität und Konfessionalität völlig zusammenfallen zu lassen. Es ist, so kann man hier lernen, gerade die Wende, die prominente Theologen und Kirchenführer in den zwanzigern Jahren in die Richtung der dialektischen Theologie vollzogen haben, gewesen, die geholfen hat, einer solchen Versuchung zu widerstehen. Die Begegnung mit der Theologie Karl Barths ermöglichte es, eine solide neureformatorische Identität zu entwickeln, die als Grundlage zum Aufbau der Kirche dienen konnte ohne zugleich ohne weiteres mit der Identität der Nation identisch zu sein. Wenn ich diese Entwicklung mit der niederländischen Rezeption der Barthschen Theologie in derselben Zeit vergleiche, wird mir bewusst, dass in den Niederlanden meistens die Diskussion durch die barthsche Kritik einer Identifikation des Evangeliums mit einem bestimmten konfessionell organisierten Teil der Bevölkerung geprägt wurde und der Name Karl Barths deshalb vor allem mit einem ‘Durchbruch’ aus der Isoliertheit verbunden war, während in Romänien diese Isoliertheit ohnehin gegeben war, jedoch die Aufgabe bestand das richtige Verhalten zu ihr zu bedenken. Es ist vermutlich nur in einer Reihe längerer Gespräche möglich, dass solche Unterschiede im Kontext einander verständlich zu machen sind und es wird wahrscheinlich noch länger dauern, bevor sie gemeinsam fruchtbar gemacht werden können.
Als dann wird die Begegnung rumänischer reformierter Theologen mit den Barth verwandten Kreisen aus der Schweiz skizziert. Die Geschichte fängt mit der Theologin und Beauftragter für die Frauenarbeit Märia Pilder an, die neue theologische Grundlagen gesucht hat und diese in einem Briefwechsel mit Hermann Kutter weiter |289| entwickelte. Trotz der auch ihr deutlich gewordenen Unterschiede zwischen der Theologien Kutters und Barths hat sie sich für Beide eingesetzt, u.a. durch bewunderswerte Übersetzungsarbeit. Andere siebenbürgische Theologen (unter welche die im ‘Fallstudien’ später im Buch besprochene Theologen) lernten über andere Wege die dialektische Theologie kennen und in 1930 kam es in Nagyenyed zu einem fast reformatorischen Glaubensgespräch, wo die ganze Breite der Kirche anwesend war und glänzende Wertungen der dialektischen Theologie vorgestellt und bestritten wurden. Seitdem war es nicht länger die liberale Theologie, sondern vorwiegend die Autorität dieser dialektischen Theologie, welche die Reformierte Kirche Rumäniens in den äußerst schwierigen Jahren vor, während und nach dem 2. Weltkrieg als Orientierungshilfe gedient hat. Die Besuche von Emil Brunner in 1935 und von Barth selber in 1936 trugen dazu bei – wobei der Leser einen ausführlichen Bericht über die Diskussionen bekommt, die sich an dem Barthschen Vortrag ‘Gottes Gnadenwahl’ in Klausenberg anknüpften und die in der deutschen Druckfassung nur teilweise zurückzufinden sind.
Im dritten Teil des Buches werden in exemplarischen ‘Fallstudien’ zwei Theologen, ein systematischer und ein praktischer, vorgestellt. Slindor Tavaszy (1888- 1951) hatte bei vielen deutschen Theologen und Philosophen studiert, arbeitete an verschiedenen Lehrstühlen der Theologischen Fakultät in Klausenburg, eine kurze Zeit auch als Philosophieprofessor an der staatlichen Universität, und war daneben auch Bisschofsvikar. Am Ende der zwanziger Jahre war er Direktor der Fakultät und hatte den systematischen Lehrstuhl inne. So konnte er die Wende in die Richtung der dialektischen Theologie entscheidend beeinflussen. 1948 wurde er unter staatlichem Druck zwangspensioniert. Seine Reformiert-Christliche Dogmatik (1932) wird ausführlich referiert. Man bekommt den Eindruck, dass klassisch-reformierte und dialektisch-theologische Elemente hier nebeneinander zu finden sind, aber es ist schwierig richtige Schlussfolgerungen zu ziehen, wenn man wegen fehlender Sprachkenntnis die Quelle nicht nachschlagen kann. Der Vergleich mit Barths Die Christliche Dogmatik im Entwurf (1927) im Anhang I hilft nicht wirklich weiter, da doch 1932 nur die Prolegomena und kein vollständiger Entwurf einer Barthschen Dogmatik vorlagen. Die zweite Fallstudie ist Lajos Imre (1888-1974) gewidmet, dessen Leben und Theologie schon im Ungarischen von Magda van der Ende beschrieben worden sind. Er war auch in internationaler Perspektive einer der ersten praktischen Theologen, die entscheidende Einsichte der dialektischen Theologie für ihre Disziplin fruchtbar zu machen versucht haben. Seine Katechetik. System der reformiert-chrislichen religiösen Erziehung (1942) hat offenbar sehr viel Einfluss auf die Traditionsvermittlung in der Reformierten Kirche Rumäniens ausgeübt. In der Analyse des Werkes wird manchmal von einer ‘Starrheit’ geredet, welche wahrscheinlich mit dazu beiträgt, dass diese Überlieferung inzwischen angesichts neuer Herausforderungen an die Kirche auf ihre Grenzen stößt.
Im Rückblick findet sich die wichtige Feststellung: “Diese Theologie ist aus der Not einer realen gesellschaftlichen Krisensituation erwachsen” (S. 290). Gerade diese Erkenntnis muss auch den eigenen Beitrag dieser Theologie im europäischen und |290| globalen Austausch ermöglichen. Einsichtig ist die These, dass gerade der eigene offenbarungstheologische Einsatz, mit ihrem eschatologischen Korrektiv, die Haltung der Kirche während des kommunistischen totalitären Zeitalters geprägt hat und mit zu dessen Überwindung beigetragen hat. Die Bezeichnung dieser Theologie als ‘Ost-europäische Theologie der Befreiung’ geht in meinen Augen aber ein bisschen zu schnell. Dazu gibt es zu viele nicht nur inhaltliche sondern auch methodische Unterschiede – und diese nicht ausschliesslich hinsichtlich des Stellenwerts des Marxismus – mit den theologischen Entwürfen, die sich in Lateinamerika und sonstwo den Namen einer Befreiungstheologie gegeben haben. Es ist richtig, dass seit 1989 ein Gespräch zwischen Theologen aus dem ‘Osten’ und dem ‘Süden’ über die Parallele und Unterschiede in der theologischen Erarbeitung der Erfahrungen von Unterdrückung auf der ökumenischen Tagesordnung steht und dass dieses Gespräch noch immer nicht zu Ende gefiihrt ist. Vielleicht kann gerade ein Gespräch über das gemeinsame Erbe der Theologie Karl Barths (z.B. zwischen Theologen wie Ferencz Árpád und den Autoren, die 1988 das Heft On Reading Karl Barth in South Africa herausgegeben haben) einen neuen Impuls dazu bieten.
- R.H. Reeling Brouwer, ‘Árpád Ferencz, Der Einfluss der Theologie Karl Barths auf die Reformierte Kirche Rumäniens’; ZDTh 21/3 (2005), 288-90.