‘Orte der Theologie’. Einleitung 29. Barth Tagung Driebergen

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29e Barth-Tagung, Driebergen 2011

Rinse Reeling Brouwer

Einleitung                                                                                        

Es ist mir eine Freude Sie herzlich zur 29. Barth-Tagung in den Niederlanden begrüßen zu dürfen. Das Thema lautet diesmal: ‚Orte der Theologie: Ein Versuch zeitgenössischer Erkundungen’. 

Unter dem Titel ‚Der Ort der Theologie’ hat Karl Barth im Wintersemester 1961/62 die erste Abteilung seiner Vorlesungen zur ‚Einführung in die evangelische Theologie’ gestellt. Er erklärt dort heologie im Raum und Rahmen der Kultur und insbesondere der Universitas Literar zugleich: es kann sich nicht darum handeln, ‚den Ort, das Recht und die Möglichkeit der Tum näher zu bestimmen: im Zusammenhang der sonstigen, der allgemein menschlichen Wissenschaft’ (S. 22). Vielmehr handelt es sich darum, ‚die der Theologie von innen zugewiesenen, von ihrem Gegenstand her notwendigen Ausgangsposition, von der her sie in allen ihren Disziplinen (…) vorzustoßen hat – eben das Gesetz, nach dem sie immer wieder anzutreten hat – militärisch ausgedrückt: der Posten, den der Theologe (ob es ihm selbst oder irgendwelche Mitgeschöpfen passe oder nicht) zu beziehen und (will er nicht sofort in Arrest kommen) an der Universität oder auch in irgendeiner Katakombe unter allen Umständen zu halten hat’ (ebenda S. 23). Dennoch hat Dietrich Braun im Festschrift Parrhesia 1966 (S. 11-49) seine Auswertung der Fragen und der Antworten, die der Lehrmeister Adolf von Harnack und der dissidente Schüler Karl Barth einander 1923 zum Verhältnis von Theologie und Wissenschaft, Predigtstuhl und Lehrstuhl öffentlich vorgelegt haben, auch die Überschrift gegeben: ‚der Ort der Theologie’: offenbar soll sich die Theologin, auch wenn sie sich an die ihr ‚von innen her zugewiesene Ausgangsposition’ zu halten vornimmt, nicht dem Gespräch mit Leuten die ihr eine andere Position zuweisen, entziehen wollen.

I. Exegetische Erinnerung

Das Wort Makom, Ort, hat eine zentrale Funktion in den Schriften des Moses und der Propheten – aber es fehlt auch in den Apostelschriften nicht, siehe z.B. Johannes 14:2: ,Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten’: die Lesungen der Abend- und Morgenandächten dieser Tagung werden davon zeugen. Fürs erste bevorzuge ich es aber, das Wort ‚Orte’ durch den vielleicht etwas aktueller klingenden Ausdruck ‚Diskurse’ zu ersetzen.

Ich tue das, weil der französische Philosoph Alain Badiou im vierten Kapitel seines Buches zu Paulus (als ,ein Begründer des Universalismus’), die Eigenart des Apostels – im Unterschied zum Weisen einerseits, zum Schriftgelehrten andererseits – gerade in einer Theorie der Diskurse klarzumachen versucht hat. Er entwickelt diese Theorie anhand des berühmten Abschnitts 1 Korinther 1, 18-25.[1] Das Subjekt, das den griechischen Diskurs gestaltet, ist der Weise. Weisheit ist aber die Assimilation der Erkenntnis an die unerschütterliche Ordnung des Seins, die Anpassung der Vernunft (des logos) an das Sein: die (subjektive) sophia und die (objektive) physis entsprechen einander. In dieser Weise ist der griechische Diskurs ein kosmischer, der das Subjekt in der Ordnung einer natürlichen Totalität stellt und ein Ethos der Anpassung fordert. Das Subjekt des jüdischen Diskurses hingegen ist der Schriftgelehrte (oder der Prophet). Er liest die Zeichen, und er vermag eine Entzifferung der Zeichen welche nur den Erwählten bekannt sein können. Deshalb ist dieser Diskurs vor allem ein Diskurs der Ausnahme: sind doch die Erwählung, das Wunder (als ein Bruch im Kosmos) und das Verstehen der Zeichen (einer bestimmten Sprache) alle Phänomene einer Ausnahme. Dennoch enthält der jüdische Diskurs nach der Pauluslektüre Badious keinen Ausbruch aus dem Sein: er ist zwar immer im Protest, im Ethos der Abweichung begriffen, aber er setzt doch eine väterliche Autorität, nämlich eine (schriftliche) Tradition und den Besitz der Erkenntnis eines Zeichensystems, voraus. Der Diskurs des Apostels ist beiden anderen Diskursen gegenüber ein Dritter, in dessen Lichte die beiden andere als letztendlich zusammengehörig erscheinen: ‚die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis – weil Schwachheit – und den Griechen eine Torheit’. Nur hier, beim Christus, gibt es ein Ereignis (événement), das sich nicht vom Sein her verstehen lässt: es fügt sich nicht in den Kosmos, ja ist eher akosmisch zu nennen, aber es fügt sich ebenso wenig in das Gesetz einer partikularen Tradition, ja ist demgegenüber eher illegal. Und gerade deshalb lädt sie alle, Juden und Griechen, ein, sich hinfort von ihm, von diesem Ereignis, bestimmen zu lassen. Man kann vielleicht, mit Barth gegen Harnack, sagen: der Theologe, der sich von dem Apostel her versteht, lässt sich nicht vom herrschenden Begriff der Wissenschaft (als Bestätigung des kosmischen Seins) seinen Diskurs vorschreiben. Eine Frage ist dann wohl, ob es einen solchen Theologe überhaupt gibt, d.h. ob der einzig mögliche Alternative nicht der Theologe als Schriftgelehrter sei, der eine partikulare Sprache, eine partikulare Lehrmeinung, also eine Ausnahme vertritt – so, wie Harnack vermutlich den für ihn schwer verständlichen Protestler Barth verstanden hat. Ist der dritte Diskurs des Paulus, der Diskurs eines weder im Sein noch in der Tradition begründeten und gerade deshalb von einer universalen Reichweite versehenen Ereignisses, überhaupt als christliche Position im Denken vertretbar? Hoffentlich kommen wir in diesen Tagen in dieser Frage ein bisschen weiter.

II. Ein doppelter Anlass

Unser Thema ist vom Vorbereitungskomitée aus zwei Anlässen gewählt worden. Der erste ist der rasche Wechsel der Perspektiven in der theologischen und religionswissenschaftlichen Landschaft in den Niederlanden. Vor mehr als zehn Jahren gab er hier noch eine Menge Einrichtungen, wo man als Pfarrer in einer der protestantischen Denominationen ausgebildet werden konnte. Aus Gründen, die eng mit der niederländischen Kirchengeschichte zusammenhingen, gab es neben an den theologischen Fakultäten der reichs- oder kommunalen Universitäten angebundenen ‚kirchlichen Seminaren’ eine selbständige christliche Universität mit einer theologischen Fakultät und kirchliche Hochschulen (später auch Universitäten genannt). Das alles ist in einigen Jahren verschwunden. Drei Universitäten haben breite, geisteswissenschaftliche Fakultäten gebildet, in denen Theologen und Religionswissenschaftler sich zu bewähren haben. Die beiden anderen Universitäten (die Freie Universität in Amsterdam und die Reichsuniversität Groningen) wollen ihre Fakultät behalten und suchen dabei die Zusammenarbeit mit der von der (vereinigten) Protestantischen Kirche in den Niederlanden gegründeten Protestantischen Theologischen Universität – was, wie sich versteht, eine tiefgreifende Reorganisation mit sich bringt. Die Frage ist nun: gibt es für eine theologische Fragestellung nur noch eine Verortung an diesen Stellen wo die theologische Arbeit sich expressis verbis konzentriert, oder lässt sie sich weiterhin auch sonst wo denken? Es mutet dem Vorbereitungskreis an, dass die Relevanz dieser Fragestellung sich durchaus nicht auf die Lage in den Niederländen beschränkt.

Der zweite Anlass ist eine Begegnung, die Einige von uns in den vorangehenden zwei mal vierundzwanzig Stunden in diesem Haus hatten. Wir waren hier zusammen mit zwanzig Forscher aus der ganzen Welt, die sich alle mit der Theologie Karl Barths beschäftigen, zum weiteren Ausbau einiger notwendigen Bedingungen für die Forschung, wie ein scolarly network and eine bibliografische database. Aber die wichtigste Frage in dieser Begegnung war selbstverständlich eine andere: wozu noch diese weitere Forschung in der Theologie Karl Barth? Hat es überhaupt einen Sinn, von einer (kirchlichen) Dogmatik nach Barth zu reden? Haben sich die kirchlichen, gesellschaftlichen und akademischen Umstände nicht dermaßen verändert, dass eine ganz andere Orientierung notwendig ist? Ist es und bleibt es, angesichts des Relevanzverlustes der Kirche, jedenfalls in der westlichen Welt, und der Unverständlichkeit ihrer Sprache, angesichts des Unvermögens der Gesellschaft ihre eigene Probleme auch als theologische Fragen zu verstehen und angesichts des akademischen Konsenses über die Unwissenschaftlichkeit der Theologie, für die Theologie dennoch möglich ihre Verantwortlichkeit auf diesen drei Feldern – wie sie von Leuten wie David Tracy und David Ford unterstrichen worden ist – zu erfüllen? In zwei Tagen kann man diese Fragen unmöglich erschöpfend beantworten, und es schien uns angebracht, sie in diesem neuen Kontext der Karl Barth-Tagung auch neu wieder aufzugreifen. Wir freuen uns, dass zwei der Teilnehmer der vorangehenden Konferenz auch bereit waren in diesen Tagung als Referent aufzutreten.

III. Schritte

Der Tagungsablauf denken wir uns nach den folgenden Schritten zu gestalten (obwohl diese Schitte im Tagungsablauf nicht in der beabsichteten Abfolge gemacht werden können). Erstens soll der Diskussionskontext, in dem Karl Barth interveniert, rekonstruiert werden. Die schon genannte Debatte mit Adolf Harnack ist dabei ebenso wichtig wie die Auseinandersetzung mit seinem Freund, aber keineswegs ohnehin Geistesverwandter Heinrich Scholz von 1931 über das Verhältnis der Theologie zu dem in ihrer Zeit herrschenden Wissenschaftsbegriff. Beide Interventionen sind nicht ohne Folgen geblieben. Prof. Arie Molendijk, Groningen (pass auf!) hat sich bereit erklärt, der Bitte uns hier Klarheit zu verschaffen Folge zu leisten. In einem zweiten Schritt sind zwei Theologen aus unterschiedlichen Kontexten gefragt worden, zu den gestellten Fragen einige Gedanken vorzuführen. Prof. Guenter Thomas, prof. für Systematische Theologie in Bochum – und außerdem Mitverantwortlicher für die Gestaltung unserer Muttertagung auf dem Leuenberg – wird darauf eingehen, wie es für die Theologie möglich sei, sich, ohne die theologische Identität aufzugeben und ohne sich von einer religionskritischen Rede von Gott zu verabschieden, dennoch innerhalb der Universität und innerhalb der verschiedenen Formen der Erforschung der Religion einen Ort zu finden. Und Susanne Hennecke, Utrecht und Bonn, die sich mit der Forschung der Rezeption Karl Barths in den Niederlanden beschäftigt, wird uns darstellen, welche Rolle theologische Fragestellungen überraschenderweise auch in der Vergangenheit schon im Bereich der Geisteswissenschaften gespielt haben. Für den dritten und letzten Schritt, ist ein Aufmerksamkeit erregender Niederländische Systematiker aus einem anderen konfessionellen Kontext eingeladen: Prof. Erik Borgman, Tilburg. Seine Frage betrifft die Zuspitzung und den Grund aller Fragen dieser Tagung: die Frage ‚wo ist der Ort?’ sei zu verstehen als die eigentliche Frage: ‚wo ist Gott?’ Könnte es sein, dass wir die Welt als Ort des Ankommens Gottes zu verstehen und in Erwartung zu befragen haben? Wir sind sehr gespannt auf die Beantwortung dieser Fragen, denn diese Andeutungen machen sehr neugierig.

IV. Tendenzen

Noch zwei Bemerkungen über die Richtungen unserer Arbeit als Tagungsgemeinschaft zum Schluss, die zufällig oder auch nicht zufällig mit den beiden Anlässen zum Thema dieser Tagung zusammenhängen.

Die erste Bemerkung:  es gehört zu den Änderungen in der Gesellschaft und in der Kirche, dass die Protestantische Kirche in den Niederlanden sich entschieden hat, für ihre Pfarrer ein System der verpflichtenden professionellen Fortbildung einzuführen. Ich hoffe, dass es möglich sein wird sowohl unsere Karl Barth-Tagung im Angebot dieser Fortbildung aufzunehmen als auch manche Pfarrer dazu zu verführen, ihre Zeit für Forschung und Besinnung gerade in diesem Kreis nützlich zu machen.

Zum zweiten: schon vor einigen Jahren sind wir damit angefangen, einige Sondernummer der Zeitschrift für dialektischen Theologie in die englische Sprache herauszubringen. Inzwischen haben wir diese Reihe als Supplement Series formalisiert. Sie können sich darauf zusätzlich abonnieren. Soeben ist das vierte Heft erschienen, zum ,Begriff der Geschichte in der Theologie’ und vermutlich wird noch in diesem Jahr auch das fünfte Heft, zur ‚Kirche als kommende Gemeinschaft’ auf dem Tisch gelegt werden. Auch die Referate der Forschungsbegegnung der vorangehenden Tage, von der ich schon sprach, werden in absehbarer Zeit im Englischen herausgegeben. Diese Tatsachen zeigen eine Tendenz, die sich,  nicht nur wenn es sich um die Erarbeitung der Theologie Karl Barths handelt, abzeichnet: die englische Sprache wird in zunehmender Maße die herrschende Sprache der internationalen Kommunikation auch in der Theologie. Das werden wir auch in diesen Tagen erfahren, weil Erik Borgman angegeben hat, sein Referat am liebsten auf englisch zu halten, und wir uns damit einverstanden erklärt haben – es wird wohl eine Deutschsprachige Zusammenfassung zur Verfügung gestellt. Wir sind uns als Vorbereitungskreis bewusst, dass diese schleichende, aber irreversible Tendenz früher oder später Folgen für unsere Tagung haben wird. Über die Art, wie wir diese Folgen zu gestalten haben, werden wir uns ohne weiteres mit den treuen Teilnehmern der Tagung beraten.

Und so wünschen wir einander eine lehrreiche und weiterführende Tagung, unter dem Vorzeichen des Wortes jhwh’s zu Moses: ‚hiné, makom ‘itih’, ‚Siehe, hier ist Raum (Ort) bei mir’ (Ex. 33:21).

Rinse Reeling Brouwer


[1] A. Badiou, Saint Paul. La fondation de l’universalisme, Paris: PUF 1997; Deutsch: Paulus – die Begründing des Universalismus,  München: Diaphanes Verlag, 2002)

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R.H. Reeling Brouwer

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