Keine Niederlassungsbewilligung? Nein, Ehrenbürgerrecht!

K

Einige hermeneutische und sonstige Bemerkungen zu Barths Angelologie 

I. Nebenraum? 

Als Karl Barth im Sommersemester 1949 bei der Besprechung der modernistischen Engellehre, von ihm “Angelologie des müden Achselzuckens genannt”, angekommen war, ergab sich, wie er in einem Brief berichtete, im Kolleg eine “etwas fastnächtliche Stunde”. Als er dann sagte, daß die Engel bei den Theologen dieser Schleiermacherschen Linie “wenn auch keine Niederlassungs-, so doch einmütig eine Art Aufenthaltsbewilligung” erteilt werde, “erfüllte heller Jubel das Lokal”. 

Hier fällt verschiedenes auf. Betrachten wir erstens das Bild selber. Politische Erfahrungen klingen hier durch. Barth hat die schweizer Asylantenpolitik oft genug kritisiert, namentlich die restriktiven Maßnahmen gegen jüdische Immigranten in den dreißiger Jahren. Er weiß: so geht man mit unerwünschten Ausländern um. Man darf froh sein, wenn ihnen ein zeitlich beschränkter Aufenthalt bewilligt wird. Daß sie sich für längere Zeit niederlassen dürften, das ginge zu weit. Denn sie gehören nicht hierher. So, sagt Barth, ist die Lage der Engel bei den modernen Dogmatikern. “Man wollte die Engel nicht bekämpfen. Man wollte sie nur nicht in der Dogmatik haben. Man eröffnete ihnen aber daneben so etwas wie ein Internierungslager” (Schiphol-Ost!), “in dem sie nun doch geduldet sein sollten; … oder”, fragt Barth – denn er will nicht, daß wir uns auf ein einmal gefundenes Bild fixieren – “oder ist es (dieser Nebenraum) so etwas wie eine Kinderstube?” So ist es mit den Engeln: sie sind Fremdlinge, unerwartete und oft nicht sehr willkommene Gäste, Eingriffe in unsere etablierte Existenz. Oder sie sind keine seriösen Partner für die Erwachsenen, nur für die Kinder. So oder so, Ausländer oder Kinderfreunde: ihre Anwesenheit bedeutet eine Störung, eine Behinderung des normalen Lebens. In der Dogmatik aber, wo es sich, wie es sich gehört, mit der Normalität ein bißchen anders verhält, gehören nach Barthscher Einsicht diese Engel, diese Störenfriede, durchaus dazu. Nicht als Bürger, nicht als Einsassen – denn sie sollen sich immer frei bewegen müssen und sich ihrem Amt nach auch frei bewegen können –, aber dann vielmehr, wie Barth es schon früher formulierte, als Ehrenbürger. Solche Figuren wohnen hier zwar nicht, aber wir sollen immer froh sein, wenn sie unsere polis mit ihrem Besuch verehren |52| wollen. Und wir sollen hoffen, daß sie sich in diese unsere Räume der Theologie von Zeit zu Zeit niederlassen wollen. 

Und dann, wenn Barth in diesem Sinne redet: heller Jubel im Lokal! Dieser Bereich hat also offenbar, wenn es in der Dogmatik mit rechten Dingen zugeht, etwas mit Fröhlichkeit, ja Heiterkeit zu tun. Humorlosigkeit in dieser Lehre, sei es aus religiöser Neugier auf die himmlischen Gefilde, sei es in einer entmythologisierenden Abwendung davon, ist ein Zeichen dafür, daß hier offenbar nicht gesund gelehrt wird. Wo von den Engeln geredet wird, da gibt es im dogmatischen Diskurs ein scherzando. Humor ist für Barth, wie Kunst, “ein gewisses letztes Nicht-Ernstnehmen der Gegenwart, nicht weil sie an sich nicht ernst genug wäre” (Humor meldet sich ja doch insbesondere bei den Angefochtenen und den Leidenden!), “aber weil die in die Gegenwart hineinragende Zukunft Gottes noch ernster ist”. Damit rechnen, daß die Engel dort oben unsere Pfuscherei und unsere Tapferkeit sehen, ja, daß sie, wenn es völlig schief geht, in unseren Bereich intervenieren können, relativiert von vornherein unsere ernsthafte Selbstbetrachtung. Damit rechnen, daß vom Himmel her die Welt doch noch anders aussieht als wir selbst meinen, entkrampft unsere Tätigkeit (es könnte zwar auch bedeuten, daß wir von oben noch sehr unangenehme Überraschungen erführen, und das deutet darauf hin, daß das Reden vom Himmel an sich nicht standhalten kann, sondern darauf angewiesen ist, daß es in einem verkündigenden, biblischen Reden aufgenommen wird, aber davon später). 

Als Spielart des Humors waren die Engel (und doch auch die Dämonen) bei Karl Barth schon lange anwesend, bevor sie eine lehrhafte Gestalt bekamen. Beispiel: der 31. Januar 1922. Barth berichtet aus Göttingen seinem Freund Thurneysen: “Lieber Eduard! Eben bringt mir der Kurier die sensationelle Mär, daß ich von Münster den Dr.theol. bekommen habe wegen ‘wesentlicher Beiträge zur Vertiefung der religiösen und theologischen Fragestellung’. Im Himmel (wenigstens in der Ecke, wo die Opposition versammelt ist) vielleicht einiges Befremden über diese Ehrung…” – schon komisch und mit leichtem touch zu verstehen: Barth, der sich in den Briefen immer in der Lage einer nichtverstandenen Minorität gestellt sieht, versteht sich im Himmel als Gerechter, der bei der Hauptströmung und gerade nicht, wie auf Erden, bei der Opposition zu finden ist! Und weiter? Was passiert dann auf der Erde? Ist es hier unten wie im Himmel? – “(im Himmel einiges Befremden) … auf Erden heute Nachmittag ein schlichter schwarzer Kaffee, den ihr vielleicht nach Empfang dieser Karte nachträglich mitfeiert”. Das Augenzwinkern zum Him|53|mel hilft, mit einer eingreifenden, für die eigene Stelle in der Welt wahrscheinlich wichtigen Nachricht, welche auf Erden zur allzugroßen Wichtigtuerei Anlaß geben könnte, umzugehen. Deshalb gehören, jedenfalls um des Selbstspottes willen, die Engel auch und gerade in der so rasch zu wichtig genommenen, dogmatischen Arbeit dazu. 

II. Vorraum 

Das erste Mal, daß Karl Barth systematische Überlegungen zur Angelologie anstellt, nämlich anläßlich seiner Göttinger Dogmatikvorlesungen im Wintersemester 1924/25, hatte er das Thema nicht selber gewählt. Er folgte damals treu und diszipliniert der Anordnung des dogmatischen Stoffes, die er in Heppe und Schmid, d.h. in den Lehrbüchern der “altprotestantischen” Väter, vorfand, und konnte deshalb nicht umhin, auch diesen Locus zu behandeln, auch wenn das nicht zu seinen damaligen, augenblicklichen – sagen wir: “existentialistischen”, stark von der Dramatik der Begegnung zwischen Gott und Mensch in Anspruch genommenen – Stimmungen paßte.

Er nennt den Paragraph etwas gewichtig, mit den Alten, lateinisch de angelis bonis et malis und stellt ihn an den Anfang der “Lehre vom Menschen”. Aber gleich fragt er, durchaus modern: “bedeutet die Lehre von den Engeln und Dämonen nicht einfach eine überflüssige Verdoppelung der Lehre vom Menschen?” Und nicht ohne Grund enthält der Leitsatz, sehr offen und “undogmatisch”, fast nur Sätze, die mit einem solchen Fragezeichen enden. 

Barth fühlt sich gezwungen – man spürt: nicht nur aus apologetischen Gründen, sondern auch aus dem Bedürfnis nach einem Gespräch mit den Zweifeln im eigenen Herzen – Vorfragen zu stellen und sich hermeneutische Gedanken zu machen, bevor er sich mit der Sache selbst befaßt. Es kann für uns erhellend sein, zu diesem Suchen und sich Abmühen dort unten im Tal am Anfang des Weges eines Dogmatikers zurückzugehen, auch wenn es vom |54| erreichten Gipfel im Text der Kirchlichen Dogmatik her als eine schon “aufgehobene” Position erscheint. 

Barth bemüht sich Januar 1925 um ein weltanschauliches Gespräch, um auch für sich selbst einen Einstieg zu finden. Gesprächspartner ist zunächst David Friedrich Strauß, will sagen: eine Stimme aus den Tagen der nachhegeIschen, empiristischen Wende in der deutschen Geistesgeschichte. Strauß sagte: Engel und Dämonen sind nur Projektionen des Menschlichen in eine zweite, obere Welt. Um der Menschlichkeit des Menschen willen aber sollen wir uns von diesen Schattenbildern verabschieden! Lasset uns am vollen, konkreten Leben festhalten, wo wir zwar keine ganzen Engel, doch dafür auch keine ganzen Teufel, statt beider aber ganze Wesen, ganze Persönlichkeiten finden, während Engel und Teufel nur halbe, mithin keine sind! Barth stimmt erst einmal zu: ja, es gibt hier solche Projektionen und Schattenbilder. Aber er fragt (und es ist eine philosophische Frage): gibt es dieses “konkrete Leben” des Menschen wohl ohne solche Schatten und Verdoppelungen? Wird das Konkrete nicht immer auch das Abstrakte an sich ziehen und mit sich führen? Ist es nicht eine Selbsttäuschung des Menschen, sich für nur konkret und sich vom Abstrakten fern zu halten? Produziert nicht gerade der konkrete Mensch immer Ideen und Idole, Ideale und Symbole, welche ihn leiten und lenken, eher als er sie zu leiten und zu lenken imstande ist? Ist nicht gerade der Verehrer der Idee einer “ganzen Persönlichkeit” ganz besonders einer solchen Abstraktion hörig? Ist nicht der positivistische Wissenschaftler der am meisten naive und deshalb der am meisten einer Abstraktion wie “der Wissenschaft” verfallene, und jedenfalls in dieser Hinsicht im Nachteil seinem idealistischen, also kritischen, Antipode gegenüber? Fazit: nicht in Bezug auf die Gottesfrage – sehr bestimmt nicht –, sondern hier, in Bezug auf die Art der Weltwirklichkeit und auf die Wirklichkeit des Menschen, ist der philosophische Idealismus weiser, lebensnaher, und für eine biblisch orientierte Theologie bündnisfahiger als eine positivistisch-empiristische Position. Denn die Bibel weiß, das es Mächte, Elemente, Autoritäten, Gewalten in der Luft gibt, denen wir gewollt oder ungewollt (meistens ungewollt) gehorchen und vertrauen (Gal. 4:3.9., Eph. 1:21, Kol. 1:16, 2:8.10.15.20 u.s.w.). Die Bibel verkündigt sie zwar nicht. Sie ruft gerade nicht dazu auf, an solche Mächte, Gestalten und Wahrheiten zu glauben. Aber sie setzt ihre Existenz in der eigenen Verkündigung einer göttlichen Intervention inmitten dieser Mächte im Himmelreich voraus. 

Nebenbei bemerkt: man sieht, wie sehr Barth auch hier wieder sein Gespür für die “Dialektik der Aufklärung” zeigt. Seine Kritik an der empiristischen Wende der nachhegeischen Linken ist keine unsolidarische. Nur meint er, daß ein allzu naives Abschwören der Abstraktion diese Abstraktion gerade, quasi von hinten, anzieht. Trotz einer kritischen Bemerkung zum historischen |55| “Materialismus”, meine ich, daß Barth sich hier faktisch sehr in der Nähe der von Karl Marx geübten (Selbst)kritik der hegeIschen Linken befindet. Denn Marx fragte, in wieweit der Abschied vom Himmel und die Reduktion des Himmels auf die Erde verkannte, daß die irdischen Verhältnisse immer wieder himmlische Mächte produzieren und am Leben halten und er setzte sich daran, gerade den “modernen Menschen” als einen tagtäglich hypostasierten, “abstrakten” Menschen aufzudecken.

Wir machen einen Sprung. Eine Ausgabe der Münsterischen Dogmatikvorlesung im Sommersemester 1927 fehlt noch. Wir wissen also nicht, welche systematischen Gedanken Barth sich seit 1925 über die Angelologie gemacht hat und müssen uns direkt den Erörterungen aus 1949 zuwenden. 

Wie öfters in der Kirchlichen Dogmatik am Anfang eines neuen Gegenstandes beginnt auch der § 51 mit einer Betrachtung, in welcher die Aufgabe des Lehrstücks, dessen Grenzen, dessen Probleme, und dessen Stelle im Rahmen des Ganzen erörtert werden. In diesem Subparagraph 51.1 aber kehren die freien Erkundungen ins rätselhaften Gebiet der offenbar notwendigen Verdoppelung der menschlichen Existenz nicht zurück. Stattdessen gibt es eine zierliche Entfaltung des sola scriptura-Prinzips nach allen Seiten. Religiöse Neugier nach, sowie freigeistiger Ärger über die behauptete Existenz einer höheren Welt werden beide von der Beschränkung auf die ThemensteIlung der Schrift her relativiert, kritisiert und aufgehoben. Der Orthodoxie wird vorgeworfen, daß sie sich viel zu viel mit einem, nicht dem Zeugnis der Propheten und Apostel entsprechenden, Interesse am Wesen der Engel eingelassen hat, dem Freisinn, daß er die Frage, was die Bibel auch in dieser Sache zu sagen und nicht zu sagen hat, durch die andere, hermeneutische Frage, “ob wir dann noch etwas damit anfangen können?”, ersetzt hat. In einer solchen Fragestellung passen die Versuche von 1925 tatsächlich nicht mehr hinein. Ja, es würde mich nicht wundern, wenn § 51.1 dort, wo im Gespräch mit u.a. Dorner, Rothe, Martensen und Schlatter das Suchen nach einem hermeneutischen Gesichtspunkt neben dem Wagnis des Hörens der Schrift in dem Heiligen Geist |56| zurückgewiesen wird, auch als eine implizite und leise Selbstkorrektur Barths zu verstehen wäre. Aber obwohl diese erreichte Behandlungsweise sehr schön und übersichtlich anmutet, wage ich es doch, zu fragen, ob hier zwischen 1925 und 1949, außer dem offensichtlichen Gewinn, nicht doch auch einigermaßen von Verlust die Rede sein könnte. Ich nenne drei Aspekte: 

1. In 1925 schon wurde zwischen dem, was die Schrift bezeugt, und dem, was sie in dem, was sie bezeugt, voraussetzt, unterschieden. Es ist eines, zu sagen, daß in einer platonisierenden Weltanschauung die Dualität der unsichtbaren und der sichtbaren Dinge angenommen und erlebt wurde und dann zu fragen, ob es auch für uns heute noch einen Sinn haben kann, die Welt auf diese Weise zu betrachten; es ist etwas anderes, zu bezeugen, daß der Gott Israels als der Schöpfer der unsichtbaren und der sichtbaren Dinge zu verstehen ist. Es ist eines, zu bedenken, was wir sagen, wenn wir damit rechnen, daß es Mächte “in der Luft” gibt, die unser Leben beeinflussen und lenken, vielleicht viel mehr als uns, modernen autonomen Subjekten, lieb und sicher viel mehr als uns bewußt ist; es ist etwas anderes, zu bezeugen daß diese himmlischen Engelmächte dem Messias Israels dienen. Wenn wir in der Dogmatik von dem einen reden, dann tun wir das ohne Zweifel in Bezug auf das zweite, eigentliche. Es gibt das Thema der Schrift, und es gibt eine geistige Atmosphäre, in der dieses Thema artikuliert wird. Wir vertrauen darauf, daß dieses Thema sich gegen allen Nebeninteressen strahlend durchsetzen wird. Aber warum muß es apriori behauptet werden? Warum mutet § 51.1 so manches mal krampfhaft an? Das sola scriptura ist doch keine Zwangsjacke, kein Prinzip, das als Voraussetzung von uns poniert werden muß? Wir rechnen doch damit, daß die Einmaligkeit der Schrift sich im Hören erweisen wird? Das offene, hermeneutische Fragen nach der Lebenswelt, in der das Zeugnis erklingt, braucht doch nicht zu verhindern, daß wir in dieser Welt die richtige Stimme der Schrift zu hören bekommen?

2. Nach Barths Ansicht fallt die Grenze zwischen einem Interesse am Namen der Engel als Boten und einem am Wesen der Engel als intelligentes spiritus mit der Grenze zwischen Schrift und Tradition fast zusammen. Vielleicht ist dies zu einfach gesehen. Nicht erst in der nachbiblischen Zeit, sondern schon in der Welt des Judentums der hellenistischen Zeit, zu welcher die Apostelschriften gehören, machte man sich Vorstellungen und Theorien über die Substanz, den Ursprung und den Aufenthaltsort der himmlischen Wesen. Zugleich wußte man vom vielmehr funktionellen Auftreten der mal’achim in den frühe|57|ren Schriften. Kann es nicht so sein, daß wir bei den Aposteln mit einer neuen Fassung der frohen Botschaft in einer fast völlig veränderten Geisteslage zu tun haben? Es gibt nun mal in “der” Schrift mehrere Kontexte und mehrere Artikulationen des Lebensgefühls. 

Barth hatte sich 1925 dem geistigen Kontext der hellenistischen Zeit angenähert. In 1949 hatte er versucht, aus dem “alten” und dem “neuen” Testament eine Engellehre zu destillieren. Dabei blieb für die Einsichten von 1925 wenig Platz übrig. Dies ist immer eine Gefahr im Umgang mit den Schriften in der dogmatischen Arbeit. Die geglaubte Einheit der Verkündigung fällt nun einmal nicht mit der Einheit der Weltbilder, kulturellen Kontexte und diesbezüglichen Parteinahmen der Texte zusammen und wir sind der Gefahr ausgesetzt dies um der Übersichtlichkeit der Darlegung willen rasch zu vergessen. 

Ein Beispiel: im 12. Kapitel des Buches der Offenbarung befindet sich der Drache, das ist “die alte Schlange” (vs. 9), ursprünglich im Himmel. In Genesis 3 war sie noch nicht dort, da war sie ein Tier der Erde. Wie kam sie denn dorthin? Dazu gibt es meines Wissens keine Sage, wohl einen religionsgeschichtlichen Befund: es war der Einfluß des parsischen Dualismus, der der Schlange im Himmel ihren Wohnsitz zugeschrieben hatte. Und die Hörer des Textes fühlten sich von ihrem himmlischen Einfluß beschlagnahmt. Dort sieht der Seher sie von Michael und seinen Engeln bekämpft und aus dem Himmel auf die Erde geworfen. An sich ist der Himmel also offenbar eine bedrohliche, von unangenehmen Überraschungen erfüllte Gegend. Aber, so lautet die Botschaft im Augenblick der gesehenen Gefahr, dennoch ist jedenfalls dort im Verborgenen des Himmels eine befreite Zone geschaffen worden, wo der (fast fatalen) Schlange ihr Einfluß genommen ist. Dies nannte ich: die neue apostolische Fassung der alten frohen Botschaft in einer veränderten Geisteslage, der Barth 1949 vielleicht weniger Rechnung getragen hat. 

3. Was blieb nun in Barths späteren Arbeiten von seinen früheren Einsichten zum Stellenwert der invisibilia? – 1938 besprach er, in der Abhandlung “Rechtfertigung und Recht”, die Auffassung mancher Exegeten, mit den exousiai, von denen Paulus (Römer 13:1 u.ö.) als Bezeichnung der politischen Ordnungsmächte redet, seien Engelmächte gemeint. Barth hielt es für wichtig, dort nicht gleich eine negative Konnotation überwiegen zu lassen: eine exousia kann nach dem Neuen Testament zwar dämonisieren, aber diese Dämonisierung kann auch unterbleiben! Die Aktualität dieser Bemerkung damals war zwar unausgesprochen, aber klar: Barth war zu jener Zeit damit beschäftigt, politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu mobilisieren. Eine |58| Verteufelung Hitlers schien ihm dazu kein vernünftiger Beitrag. Es ginge gerade darum, in der christlichen Theologie wieder ein positives Verhältnis zur Möglichkeit eines zwar beschränkten, aber doch vielversprechenden Rechtsstaates zu gewinnen. Und deshalb lautete der Klimax seiner Erörterungen: “zum Dienst und zur Verherrlichung Christi, und durch ihn Gottes, gezwungen zu werden, ist die in Christi Auferstehung und Parusie sichtbar werdende Bestimmung der störrischen Engelmächte”. Mag sein, daß sie vorher elohim oder Dämonen gewesen sind, unter der Herrschaft Gottes sind sie dennoch hypo tou theou, IHM untertan. Mit dem Bild aus der Kirchlichen Dogmatik gesagt: wenn sie “Botschafter” des Gottes Israels sind dann gilt zu bedenken, daß z.B. Nelson Mandela auch notorische Stützen des Apartheitsregimes auf wichtige Posten im Ausland ernannt hat. Das konnte er tun, weil doch ein Botschafter “keine Politik nach eigener Idee oder in eigener Initiative macht oder vertritt, sondern ganz und gar nur die seiner Regierung”! 

Im Text von 1949 scheint die Vergangenheit dieser Mächte völlig unwichtig geworden zu sein. Barth nennt sie nur kurz. Ihn interessieren dabei aber nicht die “illegitimen, perversen, jene himmlischen Mächte nachaffenden und konkurrenzierenden dämonischen Mächte”, sondern nur die von Christus in den Dienst genommenen Mächte, und von denen nun wieder gerade dieser Aspekt ihrer Dienstordnung – gegen die dionysiosische Neugier nach ihre Rangordnung. 

Die Vorlesungen zur Ethik der Versöhnung aus 1959-61 dagegen weisen wieder einen anderer Gedankengang auf. In seiner Besprechung der zweiten Bitte des Vaterunsers, unter der Überschrift “Der Kampf um menschliche Gerechtigkeit”, redet Barth u.a. von den “herrenlosen Gewalten”. Dort kehren die 1925 angesprochenen Absolutismen ausführlich zurück. Dann hören wir auch wieder: man kann an sie niemals “glauben”, gerade nicht!, aber im Blick auf den wahren Inhalt des Glaubens hat das Neue Testament an der Existenz dieser Gewalten auch nicht vorbeisehen, vorbeidenken und vorbeireden wollen. Und dann handelt es sich um den politischen Absolutismus, der zur Dämonie werden kann, um ökonomischen Mammonismus, um Ideologien (nicht nur die Geistesmächte der Ideen, sondern auch die sprachlichen Mächte wie die der Propaganda) und letztlich um chtonische Kräfte (wie die Technik, die Mode, der Sport, der Verkehr).|59| 

Genau wie 1925 hören wir:26 sicher sind sie an sich des Menschen eigene Gewalten (sagen wir wieder: eine Verdoppelung des Menschen), aber sie haben im Verhältnis zu ihm doch eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit, ja Überlegenheit gewonnen. “Direkt ist das Neue Testament nur an Jesu und seiner Jünger Begegnung mit ihnen und also an ihrer Austreibung interessiert – so, indirekt allerdings auch an ihnen”.

“Einmal (1. Petr. 3, 22) werden sie auch aggeloi genannt: man muß” (lese: Barth muß, und zwar nicht aus exegetischen, sondern aus systematischen Gründen!) “da wohl annehmen: in das Gewand von Engeln Gottes verkleidete, ihr Tun nachahmende Faktoren jener pseudo-objektiv wirklichen und wirksamen Art”; d.h.: Barth hat an der Schwelle der 60er (und 70er) Jahre, sprich: an der Schwelle der “Theologien der Befreiung”, eine theologische Betrachtung der Mächte entwickelt. Er hat aber zugleich am Ausgangspunkt der Kirchlichen Dogmatik, kraft dessen er sich niemals hermeneutische Gedanken zu diesen Gewalten an sich machen, sondern sie nur im Zeichen ihrer Aufhebung und Überwindung in Christus betrachten will, festgehalten. Das ist schön, ja letztendlich entscheidend – aber dennoch geht es mir, so muß ich bekennen, manchmal ein bißchen zu rasch. 

III. Im Thronsaal 

Die sogenannten “Vorfragen” haben uns inzwischen schon lange mitten in die Hauptfragen der Lehre vom Himmelreich geführt. Wir wenden uns nun denn auch explizit der Botschaft des Thrones und des Rates Gottes zu. 

Kehren wir dazu noch einmal zu den Göttinger Vorlesungen zurück. Der § 21 der damaligen Dogmatik kannte zwei Abschnitte. Nach dem hermeneutischen folgte ein doktrinärer Teil. Dieser war stark an der reformierten Orthodoxie orientiert. Das hat zur Folge, daß der/die Leser/-in auch hier die Prädestination wittert. Der Leitsatz spricht von “geschaffenen Wesen, die in abstrakter Entschiedenheit die beiden im Ratschluß Gottes und in der Freiheit des Menschen liegenden Möglichkeiten schon verwirklicht haben”. Also: der Geschichte des Falles des Menschen auf der Erde geht die himmlische Geschichte eines Engelfalles voran. Und das aus der Erwählung Gottes folgende Urteil, das sich an uns Menschen noch vollziehen muß, hat sich an den Engeln schon vollzogen: certos angelos elegit deus, certos angelos damnavit. Die Erwählung des Menschen geschieht dank des fleischgewordenen Wortes, die Erwählung des guten Engels aber dank des logos asarkos, des ewigen Sohnes Gottes. Die Verwerfung des Menschen bedeutet eine dynamische Dro|60|hung, die sich in der Predigt zur Umkehr vollzieht, die Verwerfung des bösen Engels aber ist offenbar eine statische Tatsache: die unumkehrbare Bestimmung zur ewigen Hölle. Diese Lehre ist eine schreckliche! Gerechtigkeit und Barmherzigkeit fallen in der Ewigkeit auseinander. Und wenn es in einem metafysischen “Prolog im Himmel” den Verworfenen unter den Engeln schon so schlimm ergangen ist, wie grauenhaft muß es dann nicht den Verworfenem unter den Menschen auf Erden gehen!? Barth formulierte 1924/25 im Abschnitt von der Erwählung ernsthafte Bedenken gegen die klassische Lehre, aber im Abschnitt von den Engeln zog er keine Folgerungen daraus. Das führte zu Widersprüchen, die es ihm unmöglich machten diese Lehre beizubehalten. 

In der Kirchlichen Dogmatik kehrt sie dann auch nicht zurück. Stattdessen gibt es dort ein siegreiches Übergewicht der guten Engel im Dienste des guten, rechtfertigen und barmherzigen Gottes. Barth verbittet sich fortan eine Überschrift “de angelis bonis et malis”, weil das bedeutete, daß der angelus als ein Oberbegriff für die guten Engel und die Dämonen zu funktionieren hätte. Nur sehr kurz und unwirsch geht er auf die Dämonen ein. Er bekämpft jeden Mythos, jedes metaphysische “Vorspiel im Himmel”. Und er redet nur von den Widersachern Gottes in der Perspektive ihrer Bekämpfung, ihrer Überwindung, ihrer Erledigung. 

Betrachten wir das große Für, aber doch auch ein wenig das kleinere, doch m.E. wohl anwesende Wider dieser Lösung. 

1. Das Für ist das Verschwinden der dunklen Wolken, die Auflösung der grimmigen Töne in diesem scherzo: die Engel Gottes haben wirklich lauter Gottes frohe Botschaft zu überbringen, weiter nichts. Die Dämonen verdienen nur einen “kurzen, scharfen Blick”. “Darauf warten sie ja wohl: daß man sie furchtbar interessant finde und eben ernst nehme”. Aber es ist nicht gut, zu lange am Rande des Kraters zu stehen und hinunter zu schauen. Das “hat noch keinem gut getan – den großen Martin Luther (und gerade ihn!) nicht ausgenommen” . 

Dieser Name – der Name Martin Luthers – weist auf die zeitgenössische Diskussionslage hin. Barth war in diesen ersten Nachkriegsjahren in eine scharfe Polemik mit vielen alten Kampfgenossen der Bekennenden Kirche |61| verwickelt. Namentlich das Verhältnis zu Hans Asmussen war gespannt. Dieser sagte: “wir haben (sc. im “dritten Reich”) den Dämonen ins Gesicht gesehen”. Barth dagegen aber (in meiner Paraphrase, RRB): “das ist es nun gerade! Ihr habt immer schon die Dämonen viel zu wichtig genommen, seit ihnen verfallen und nehmt sie heute, im Nachhinein, noch immer zu wichtig! Werdet doch mal nüchtern! Wendet euch ab von eurem Fasziniert-sein durch das Grenzenlose, das Irrationale! Entmythologisiert doch mal die Kräfte, durch welche ihr euch habt verführen lassen! Wendet euch endlich mal der Verantwortung zu, der nicht heroischen, sondern alltäglichen, überschaubaren und realisierbaren Aufgabe – in der Christengemeinde sowie in der Bürgergemeinde!”

Wir werden hier an den, kurz vor KD IlI/3 erschienenen, Roman des Doktor Faustus von Thomas Mann erinnert. Der Teufel redet dort zum Komponisten Adrian Leverkühn immer ein anachronistisches, lutherisches Deutsch. Offenbar war auch Mann der Meinung, die deutsche Seele hätte, jedenfalls seit Luther, den Teufel zu ernst genommen. Sie hätte ihre großen kulturellen Leistungen, sie hätte aber auch ihre große Verantwortungslosigkeit der Gewalt gegenüber bei ihm gekauft. Und sie sollte einsehen, daß das schrecklich-ernste Spiel wirklich aus sei. Ich nenne dies nicht, um Barth (oder Mann) in den Kontext der vierziger Jahren einzuschließen. Die Texte dieser beiden Riesen lassen sich auch nicht einschliessen. Ich nenne dies pars pro toto, um daran zu erinnern, wie weise, wie im evangelischen Sinne exorzistisch, diese Intervention war, nein: ist. 

2. Nun haben manche lutherischen Theologen sich nie mit dieser Intervention zufrieden geben können. Namentlich die “Lunder” Schule hat bei Barth immer wieder vermißt, daß er sichtbar mache, wie die “Siegesgeschichte” Jesu Christi auch wirklich eine Kampfgeschichte ist. Barth hat sich dagegen, insbesondere im Gespräch mit Gustaf Wyngren über den Teufel als Lügner, … kämpferisch gewehrt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, auf welcher Seite ich mich in diesem Gespräch befinde. Ich neige dazu, zwischen Für und Wider hin und her zu hinken. Denn: nein, es ist nicht gut, das Böse zu ernst zu nehmen, sich von ihm bezaubern zu lassen. Aber doch auch: die Mächte, denen wir unterlegen sind, von denen wir uns haben unterkriegen lassen, die wir im Glauben als von |62| Christus besiegt kennen, nehmen für uns Gestalt an. Mag dann ihre Wirklichkeit eine pseudo-Objektivität sein, mag sie eine Verdoppelung unserer verkehrten Menschlichkeit sein, sie ist darum nicht weniger objektiv, ist doch die Kampfgeschichte Jesu Christi ja nicht die Geschichte eines Scheingefechtes. Eine Faszination durch die Versuchungen ist eine schreckliche Hemmung einer nüchternen Analyse. Aber eine Verkennung der “Throne, Autoritäten, Elemente und Prinzipien”, durch welche der Mensch geknechtet wird und sich knechten läßt, kann ebenso eine Hemmung im Wirklichkeitsverständnis beinhalten. 

So kann man es im “geschichtlichen” Bereich formulieren. Es ist auch möglich, es “psychologisch” (oder “psycho-analytisch”) zu sagen. Die vorsichtige, verständnisvolle, aber doch auch, wenn nötig, scharfe und folgenreiche Lektüre, die Wolfgang Schildmann von den Barthschen Träumen gegeben hat, zeigt jedenfalls, daß sich auf diesem Gebiet Fragen anmelden. Man muß das Individuelle nicht zu einem Argument “gegen” eine theologische Position anführen. Das ist unzart. Man muß die Schwäche des Anderen auch nicht auszubeuten versuchen. Das ist unvornehm (Bonhoeffer). Dennoch stimmt es nachdenklich, wenn das Verworfene, das Dämonische, das Höllische sich bei Karl Barth offenbar im Traum gemeldet hat. Schildman notiert: man kann nicht einmal sagen, das Dämonische sei von Barth ins Unbewußte “verdrängt”, denn dazu ist der Vorgang bei Barth zu sehr gerade Äußerung eines Bewußtseinszustands. Besser ist es, von “Unterdrückung” zu reden. Nochmals: dies kann kein Argument gegen eine Theologie sein. Erstens ist nicht gesagt, daß sich diese Position bei jedem Theologen, und sicherlich nicht bei jeder Theologin, so auswirken muß, wie sie sich bei Barth ausgewirkt hat – dazu sind persönliche Lebensgeschichten und psychische Apparate zu unterschiedlich. Und weiter üben wir, wie Barth immer sagte, eine theologia viatorum. Wir sind auf der Erde, unter dem Himmel. Wir haben nicht den Standpunkt, von dem aus wir den Sieg des Messias über die Mächte und Gewalten meistern können. Dennoch, oder lieber: gerade darum, ist es wichtig, die Schattenseite der eigenen Position immer mit zu bedenken. Dabei kann es hilfreich sein, uns auf das Gespräch zwischen Barth und den lutherischen Theologen einzulassen. 

IV. Ausgang

Wir sollen unseren Spaziergang im Gebäude der Angelologie nicht in der Ecke der Dämonen abschliessen. Deshalb noch ein letzter Durchgang. 

Vor zwanzig Jahren hat Dieter Schellong eine bemerkungswerte These zur Funktion der, wie er sagte: “meist schamhaft ignorierten”, Angelologie im Barthschen Denken aufgestellt. 

Am Ende seiner Darstellung Bürgertum und christliche Religion stellt er im Geiste Theodor Adornos fest, daß das moderne autonome Bewußtsein, woran auch Barth partizipierte, schon seit mehr als einem Jahrhundert von der totalen Vermarktung und Verwaltung der Welt zerstört wird. Für welches Subjekt, so fragt er, könnte dann Barths Theologie geschrieben sein? Das Bildungsbürgertum ist es nicht. Das Proletariat ist es auch nicht (mehr). Die Kirche? Aber wie kann Barth gänzlich Ungewohntes von der bestehenden Kirche erwarten, alsob sie ein sozialer Ort jenseits der totalen Vermarktung und Verwaltung sei? Und dann fragt er – richtig “fragend und ohne Sicherheit” –, “ob es wohl erlaubt sein mag, von hier aus Barths häufigen Verweis auf die Engel zu deuten?” “Die Engel galten als die, die nach der Weise der neuen Welt und bezogen auf die Entstehung dieser neuen Welt leben. Deren Dienst hat einen Ort, aber der Ort ist im Himmel. Vielleicht muß die Theologie, weil ihr jeder Ort auf der Erde genommen ist, gerade als moderne Theologie diesen Ort denken… So käme unser Thema in einen letzten Engpaß, zu einem Nicht-Ort = Utopie.”
Schellong fragt. Versuchen wir, zu antworten oder jedenfalls seine These an Barths Erörterungen im Paragraphen 51 zu prüfen:

1. Der Himmel ist kein Nicht-Ort. Ich weiß nicht, ob Schellong nach zwanzig Jahren noch dasselbe schreiben würde. In letzter Zeit haben wir aus vielen Studien erfahren, daß gerade das Utopie-Konzept nicht als Kritik, sondern als aüßerste Konsequenz der Modernität auch in ihrer zerstörerischen Gestalt entlarvt ist. Wie dem auch sei: der Himmel ist kein nicht-Ort. Der Himmel ist gerade der Ort, wo der Gott Israels seinen Stuhl errichtet hat (Ps. 103:19). Auch im platonischen Weltbild der späteren Schriften kommt den invisibilia mehr – und nicht weniger – Realitätsgehalt als den visibilia zu. Es ist zwar richtig, daß wir von dieser Realität nur in der Gestalt der “historisch nicht verifizierbaren Sage oder Legende” zu hören bekommen. Aber gerade als von der Sage bezeugte Wirklichkeit, gerade im Verborgenen, hat sie diesen ihr eigenen Realitätsgehalt. Was in dieser befreiten Zone des Himmels geschieht, ist also zwar verborgen, aber entscheidend. Deshalb muß eine “moderne” |64| Theologin tatsächlich diesen Ort denken, aber nicht wie eine Projektion ins Leere, sondern in der ihr aufgetragenen Orientierung auf die dort gefallene Entscheidung über unsere irdische Existenz. 

2. Das Geheimnis des Himmelreiches ist nicht in erster Linie die Existenz der himmlischen Engel. sondern der verborgene Ort des Namens, der errichtete Thron des Reiches, der Anfang des Geschehens des Willens. Das Geheimnis Gottes ist der Menschensohn, der erhöht ist zur Rechten der Kraft. Alle SchlüsselsteIlen in den Apostelschriften (die Hymne Kol. 1, 15-20, Hebräer 1 und 2, Offenbarung 4 und 5) besagen dasselbe: die Mächte, Autoritäten, Engel und Elementen dienen der anhebenden Humanität, d.h. Ihm, der, “mächtiger als die Engel” (Hebr. 1, 3), von dort kommen wird. ER ist dann auch (im Gegensatz zu den Engeln) die Brücke im Himmel, der sich als rosj und resjiet mit der ekklesia auf der Erde im Kommen des Reiches verbindet (Kol. 1, 18). An IHN, und nicht in erster Linie an den Engeln, hat die ekklesia sich als “Subjekt des Neuen” dann auch zu spiegeln. 

3. Die Engel Gottes haben ihre Bestimmung nach Barths Einsicht nicht in ihrem himmlischen Dienst an sich, sondern in ihrem Dienst am Kommen des Reiches aus dem Himmel auf die Erde, d.h. in ihrer Funktion als Gottes Botschafter auf Erden. In den Schellongschen Projektionen (von unten nach oben) ist von dieser Bewegung (von oben nach unten) merkwürdigerweise gar nicht die Rede. 

4. Die Botschafter Gottes sind flüchtige Wesen. Sie sind nur Funktion, sie haben keine essentia. Sie sind Fremdlinge mit Ehrenbürgerrecht: man weiß nicht, wann sie kommen, wann sie gehen. Sie sind Freunde der Kinder, die uns im Ernst unserer erwachsenen Tätigkeiten hindern. Aber von ihrer eigenen Identität wissen wir fast nichts. 

Nun mag es richtig sein, daß das postmoderne Subjekt auch schon flüchtig ist, ein Wesen mit einer immer wechselnden Identität, ein niemals festzulegendes Tier – aber ich weiß nicht, ob man soweit gehen kann, zu sagen, daß dieses postmoderne Subjekt sich schon das den Engeln eigene Vermögen zum raschen Verschwinden zu eigen gemacht hat… Darin hat Schellong recht: die Engel haben ihre leichte Identität oder sogar Identitätslosigkeit darin, daß sie sich der Vermarktung und Verwaltung entziehen können. Das postmoderne Subjekt aber hat seine Identitätsschwäche gerade in seiner Hörigkeit der Mächte der Vermarktung und der Verwaltung. 

Aber gerade darum würde ich sagen: es geht zu weit, diese armen Engel mit der Last, Träger einer menschlicheren Subjektivität des Menschen sein zu müssen, zu belasten. Laßt die Engel doch bitte lieber … Engel, richtige Engel sein! Macht sie doch nicht zum Idealfall der Humanität! |65|

Die Angelologie muß im dogmatischen Diskurs das scherzando bleiben. Dieses scherzando kann wahrscheinlich grimmiger, angefochtener, dissonierter tönen als Barth es komponiert hat. Dazu habe ich das Nötige gesagt. Aber wir sollen doch aus dem scherzo nicht den Hauptteil der doctrina machen. Damit bekommt es ein Übergewicht, ein Joch, das es nicht tragen kann. Und damit verfehlt es gerade seine Aufgabe: humoristischer Satz zu sein, d.h. Ausdruck eines “gewissen letzten Nicht-Ernstnehmens der Gegenwart, weil doch die in die Gegenwart hineinragende Zukunft Gottes noch ernster ist” … ernster auch als unsere Sorgen um die Vermarktung und um den Verlust der Autonomie. Befreit vom letzten Ernst können wir dann auch diesen Sorgen im zweiten Grad entgegentreten. Hoffentlich werden die himmlischen Engel uns darin beistehen. 


  • R.H. Reeling Brouwer, ‘Keine Niederlassungsbewilligung? Nein Ehrenbürgerrecht! Einige hermeneutische Bemerkungen zu Barths Angelologie’, ZDTh 12/1, 51-65 (geannoteerd)

About the author

R.H. Reeling Brouwer

Plaats een reactie