‚Karl Barth. De verkiezing van de gemeente. Paragraaf 34 van de Kichliche Dogmatik, vertaald en verzorgd door Wessel H. ten Boom. Ansprache bei der Empfangnahme’

Rinse H. Reeling Brouwer

Karl Barth, De verkiezing van de gemeente. Paragraaf 34 van de Kirchliche Dogmatik, vertaald en bezorgd door Wessel H. ten Boom, Zoetermeer: Uitgeverij Boekencentrum 2016, 200 Seiten.

Ansprache bei der Empfangnahme auf der Karl Barth Tagung in den Niederlanden, 1. März 2016.

Das Erscheinen dieses Buches ist ein wichtiges Ereignis, weil sie es ermöglicht, dass die Sache, die auf der diesjährigen Barth Tagung das Thema ist, jedenfalls in den Niederlanden in neuer Dringlichkeit verbreitet und weiter durchdacht werden kann. Ich bin an ihrer Entstehung mitschuldig, und befinde mich deshalb nicht in der Lage, ein erstes Urteil über Ten Booms sorgfältige und selbständige Arbeit abzugeben. Aber es steht mir wohl zu auf die Reichtümer hinzuweisen, die der Leser/ die Leserin hier erwarten dürfen.

Erstens, der Barthsche Text. Wer übersetzt, sitzt den Text gleichsam auf der Haut, stößt z.B. auf grammatische Fragen und sogar Unklarheiten, und muss dann entscheiden, ob er diese glättet oder sie in ihrer Widerborstigkeit stehen lässt. Wessel ten Boom hat sogar einmal einen vermutlichen Schreibfehler Barths entdeckt, die sogar Hinrich Stoevesandt als Herausgeber der Studienausgabe der Kirchlichen Dogmatik (1988) entgangen ist (lese KD II/2 S. 287 Z. 11: ‚Salz‘ statt ‚Satz‘).

Zweitens verfügen wir jetzt über eine Übersetzung. Die letzten Jahre sind wir schon mit niederländischen Übersetzungen des Zweiten Römerbriefs (De brief aan de Romeinen, übersetzt von Max Wildschut, Amsterdam: Boom 2008) und des KD-Paragraphen 17  (Religie is ongeloof, übersetzt von Eginhard Meijering, Amsterdam: Boom 2011) bereichert. Ten Boom hat in seiner ‚Leeswijzer‘ zu diesem Buch (9-12) auf klarer Weise Rechenschaft darüber abgelegt, wie man mit den mäandrischen, von immer dialektisch wechselnden Perspektiven geprägten, Barthschen Sätzen im Niederländischen umgehen könnte. Er ist dabei m.E. immer respektvoll geblieben, wozu übrigens auch beiträgt, dass er sich einer gut versorgten, niemals unnötig populären, leicht altmodischen, klassisch ‚hervormde‘ (volkskirchlich-reformierten) Sprache bedient. Auch für die Wortspiele, an der Barth nicht selten seine Freude hat, hat er Äquivalente gesucht und manchmal auch gefunden (was macht man zum Beispiel, wenn Barth S. 312 nach Anlass der paulinischen πρόσλημψις Röm. 11, 15 kurz nacheinander ‚Annahme‘, Hinzunahme‘ und ‚Übernahme‘ schreibt? Siehe und bewundere!).

Die Fußnoten machen den Text zugänglicher: die referierten Bibelstellen werden vollständig zitiert, die Fremdwörter erklärt, die aktualisierenden Anspielungen erläutert (‚gleichschalten‘ S. 297), bestimmten kryptischen Kürzungen vorsichtig nachgegangen (paulinische ‚Ironie‘ S. 320).

Mehr inhaltlich sind die achtzig Annotationen, in denen Ten Boom in aller Bescheidenheit die Fülle seiner Erudition und seiner Denkkraft zeigt und mit denen er die Übersetzung einen persönlichen Stempel aufdrückt. Ich unterscheide drei Arten von Annotationen.

[1] Solche, wo Ten Boom Entscheidungen bei der Übersetzung verantwortet, die der Übersetzer selber zu treffen hat: z.B. die Frage: ist Israel grammatikalisch männlich, fraulich oder sächlich (1-x)?

[2] Erläuterungen. Diese können sich beziehen (a) auf Wörter – wie das Wort ,Gnadenwahl‘, welches das ganze VII. Kapitel der KD prägt, in Römer 11,5 als ἐκλογὴ χάριτος erscheint, und in der deutschen reformierten Überlieferung eine ganz eigene Stelle einnimmt (1-i) –; (b) auf die von Barth möglicherweise benützten Editionen des Griechischen Neuen Testaments von Nestle (4-xx); (c) auf Redensarten und implizite Zitate (Goethe, 2-ii; Hegel, 4-xxiv); (d) auf Namen von Theologen (Werenfels, 2-xiv, Godschalk 2-xv), von Autoren einiger Römerbriefkommentaren (Lietzmann, 3-v), und von zeitgenössischen Gesprächspartnern (Ströter, 4-viii, Peterson, 3-vi); aber auch (e) auf Rückverweisungen in die eigene Dogmatik (zur Eigenschaftenlehre KD II/1, 1-vi, 2-xi) oder auf Zusammenhänge innerhalb des KD-Kapitels im Ganzen (die Nacherzählung der David/Saul-Geschichte, 4-xvi). Sehr einleuchtend ist auch (f) das Nachweisen der Reminiszenzen an das Zeitgeschehen im Text, wie die Konflikte zu den Christlichen Israeliten im Dritten Reich (2-vii) oder die Diskussionen im Schweizer Hilfswerk der Bekennenden Kirche zu Joh. 4,22 1-ix). Es ist klar, daβ insbesondre in dieser letzten Gruppe die Forschung von Eberhard Busch in seinem Unter den Bogen des einen Bundes von großem Nützen gewesen ist. Insgesamt gilt von dieser Kategorie der Annotationen, dass sie faktisch schon die Grundlage legt für eine Ausgabe der Kirchlichen Dogmatik, die den Kriterien der Karl Barth Gesamtausgabe entspricht. Im Moment ist eine solche Ausgabe nicht vorgesehen, und wenn sie mal erscheinen wird, wird das eine Riesenaufgabe sein. Meine Generation wird das nicht mehr erleben – aber, wenn sie mal erscheint, dann ist zu hoffen, dass man sich Ten Booms Arbeit zu § 34 erinnern wird!

[3] Bemerkungen, die Ten Boom nicht unbedingt hätte machen müssen, aber von denen es m.E. doch schade wäre, wenn er sie nicht gemacht hätte. Ich würde sie als Annotationen zur Vertiefung kennzeichnen. So notiert er, (a) wo Barth sich in Einklang mit der Tradition befindet (zur Interpretation des Falls Jerusalems im Jahre 70, 2-iii; zur Gesetzesverständnis Kohlbrugges, 3-viii), oder (b) wo das gerade nicht der Fall ist (zum Zahl der Erwählten, in Unterschied zu Anselm, 4-xxix); (c) wo Barth doch faktisch etwas anderes zu sagen scheint als sein Gewährsmann Paulus (3-vi); und (d) geht er selbst mit anderen Interpreten ins Gespräch (z.B. mit Vreekamp und Lagendijk zum ‚vergehen‘, das nicht zu schwach als ‚vorübergehen‘ übersetzt werden darf, 4-i). Und dann geht Ten Boom (e) auf Schriftsteller ein,  die – sei es nicht unbedingt unmittelbar theologisch – auf die Shoah zu reagieren versuchten, um so das eigene Profil Barths, mit dessen stärken und dessen schwachen Seiten klarer vor Augen zu bekommen. Ich nenne George Steiner (2-vii), Margarete Susman (4-ii) oder Alfred Döblin (4-xxiii). Bei allen diesen Stimmen ist deutlich, dass sie für Ten Boom mitreden sollen, weil uns weitere Reflexion zur Sache Israels geboten ist. Schließlich (f) finden wir auch Bemerkungen, die sogar als Bausteine eines neuen dogmatischen Entwurfs zur Sache ‚Kirche und Israels‘  dienen könnten (Barths These als Voraussetzung der Kirchenordnung der Protestantischen Kirche in den Niederlanden, 4-vii; ἐκλογὴ Röm. 11,5 als – über Barth hinaus – Erwählte im passiven Sinne, 4-xii; Barths hypothetische Position im Verhältnis zu den Alternativen im berühmten Briefwechsel Rosenzweig – Rosenstock, 4-xiii).

Ich rühmte die Bescheidenheit Wessel ten Booms. Es ist klar, dass er hervorragend dafür ausgerüstet ist, die Fragen der einen Gemeinde Gottes in ihren beiden Gestalten, so wie Barth sie bei Paulus gefunden hat, weiter zu reflektieren. Er hat die sieben Bände der Dogmatik Friedrich-Wilhelm Marquardts sympathisierend-kritisch schriftlich begleitet (Alleen GOD kann spreken, Kampen: Kok 1997), er hat eine Dissertation über die Juden in De Civitate Dei geschrieben (Profetisch tegoed, Kampen: Kok 2002) und außerdem noch Augustins Predigt Adversus Judeaeos übersetzt und kommentiert (Provocatie. Augustinus‘ preek tegen de Joden, Kampen: Kok 2006),  und hat jetzt dasselbe mit dem diesbezüglichen Paragraphen Barths getan. Sowohl bei Augustin wie bei Barth verschweigt er nicht, welche die Elemente und Äußerungen sind, die wir heute nur als antisemitisch und damit als beschämend und sehr peinlich erfahren können. Platte Apologetik und Verteidigung der Väter ist ihm völlig fremd. Aber zugleich sucht er immer den eigentlichen Punkt, wo eine christliche Theologie nicht umhin kann, zu sagen wie auch das jüdische Nein zu der ihr zugetrauten Botschaft ihr unbedingt angeht, und warum sie sich nicht zu Aussagen einer unbestimmten, allgemein-humanen Gesinnung beschränken kann. Darum denkt er auch über Augustin und über Barth hinaus, oder schließt er sich ihnen an in einer Weise, in der das in unseren Kirchen gar nicht mehr üblich ist. Manche seiner Vorschläge, zum Beispiel zu einem neuen Durchdenken der überlieferten Kategorie der Stellvertretung (siehe das Nachwort, S. 191 Fußnote 49), sind auf heftigen Widerspruch – wahrscheinlich auch, sondern nicht nur, auf Missverständnis – gestoßen. Nicht nur in einigen Annotationen, aber insbesondere auch am Ende seines Nachworts, nach seiner Skizzierung der Rezeptionsgeschichte des 34. Paragraphen der KD, hat er einige seiner Gedanken dazu entfaltet. Und morgen, wenn er das abschließende Forum dieser Tagung eröffnen wird, werden auch wir, die noch da sein werden, davon einiges erfahren und mit ihm darüber ins Gespräch gehen können. Für heute aber freuen wir uns nur über die Erscheinung dieses Buches, und gratulieren wir dem Autor – aber vor allem uns selbst, die hier sind und das Privileg haben, es als die ersten Leser in die Hände nehmen zu dürfen!

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R.H. Reeling Brouwer

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