Gemeindereise Fraumünster nach Holland, Donnerstag 14. Mai, 17.00 Lloyd Hotel, Amsterdam

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Gemeindereise Fraumünster nach Holland, Donnerstag 14. Mai, 17.00

Lloyd Hotel, Amsterdam; Rinse Reeling Brouwer:

‘Kirche und Theologie in den Niederlanden’  –  Eine kurze Kirchen- und Theologiegeschichte anhand wichtiger historischer Orte in Amsterdam und ihrer Funktion bis in die Gegenwart

1. De Oude Kerk (die Alte oder Sankt Niklaus Kirche) [Niklaus: der Heiliger der Seefahrer]

a. Bauzeit 1390-1560. Im Mittelalter war Amsterdam eine tiefreligiöse Stadt mit vielen Kapellen und Klöstern. Wegen des eucharistischen Wunders vom 15. März 1345 – eine von einem Sterbenden ausgespuckte Hostie im Herd nicht verdaut; vergl. die ‘Heilige stede’ (gibt es nicht mehr) und jährlicher ‘Stille Omgang’ (gibt es noch) – war sie ein anerkannter Wallfahrtsort.

b. Unter den holländischen Städten war Amsterdam die letzte die sich dem Aufstand gegen Habsburg anschloß. Bei der ‘Alteratie’ 1578 wurde die römisch-katholische Stadtverwaltung auf ein Schiff gesetzt und vertrieben. Siehe dazu den Text auf dem Chorgitter: ’t misbruick in Godes Kerck allengskens ingebracht, is hier weer afgedaen in tiaer seventich acht. In dieser Kirche sieht man noch immer die Folgen des Bildersturms. // Heutzutage sammelt sich hier noch immer eine kleine, hochliturgische Gemeinde, aber es gibt auch viele Ausstellungen in dieser Kirche, und die Zukunft der traditionellen reformierten Ausstattung ist nicht gesichert.

c. In der Republik der sieben Vereinten Niederlanden war ein öffentlicher römisch-katholischer Gottesdienst nicht gestattet, aber versteckte Kirchen wurden (auch aus wirtschaftlichen Gründen) toleriert. In dieser Weise gab es in einem Privathaus neben der Alten Kirche eine solche Schlupfkirche (1661), die man noch immer besuchen kann: Ons’ lieve Heer op Solder [zolder = Dachboden], Oude Zijds Voorburgwal 40.

d. Die Regierung des Liberalen Thorbecke erlaubte in 1854, trotz schwerem Widerstand der orthodoxen Reformierten, die Wiederherstellung der römisch-katholischen bischöflichen Hierarchie. Seitdem war der katholische Teil der Bevölkerung wieder sichtbar in der Stadt (– siehe das neogotische Gebäude von Pierre Cuypers, des Architekten des Zentralbahnhofs und des Reichsmuseums). Seit 1884-87 gibt es eine neue Sankt Niklaus Basilika, jetzt auch Kathedrale (Prins Hendrikkade), mit schönen Malereien. Heute arbeiten die beiden City-Gemeinden ökumenischerweise zusammen, u.a. bei den Vespern an jedem Sonntag.

2. Die Neue Kirche (am Damplatz), Bauzeit 1408-1540

a. Auch in dieser zweiten gotischen Kirche der Stadt sieht man die Eingriffe der Reformation. Interessant ist die Malerei auf der Orgel (1655). Man erkennt dort die Krönung Davids in Hebron, als eine Botschaft der republikanischen Stadt in Richtung der Oranier nach dem Konflikt mit dem Stadthalter Wilhelm II: bleibe dort, im Dorfe ’s Gavenhage, und wage es nicht in die Stadt zu fahren (wie auch David besser nicht nach Jerusalem hinauf hätte fahren sollen…). Weiter gibt es das monumentale Grabdenkmal für den wichtigen Admiral Michiel de Ruyter, nach seinem Tod in Syracuse (1676), an der Stelle des alten Hochaltars – in meinen Augen ist das eine religiös geschmacklose Aufstellung.

b. Im 19ten Jahrhundert wurden hier die Archiv-Akten des reformierten Kirchenvorstands in der Neuen Kirche aufbewahrt. In einem Konflikt über die Zulassung moderner (freisinniger) Konfirmanden war es für alle Parteien wichtig, den Zugang zu den Kirchen für sich offenzuhalten. Am 6. Januar 1886 durchsägten Parteigänger des Pfarrers, Politikers und wissenschaftlichen Theologen Abraham Kuyper die Abschrankungen zum Archiv des Kirchenbüro – um Zugang zu haben! Dieser ernste Vorfall zeigt die wohl wichtigste der innerreformierten Kirchenspaltungen auf, die erst mit der Wiedervereinigung der beiden reformierten Großkirchen und der ev.-lutherischen Kirche zur Protestantse Kerk in Nederland (2004) zu Ende kam.

c. Am 9. Mai 1945 hat Kornelis Heiko Miskotte hier seine berühmte Predigt zu Psalm 92:10 gehalten: ‘Deine Feinde, Herr, siehe, deine Feinde werden umkommen’. Damit hat er die geistlichen Hintergründe des nationalen Widerstandes beleuchtet und gesagt: der deutsche Besatzer war darum, und nur darum der Feind Gottes, weil er ernsthaft und buchstäblich Israel hatte ermorden wollen. // Am 22. August 1948 gab es hier einen Gottesdienst am Anfang der Gründungskonferenz des Weltkirchenrats. Karl Barths Anwesenheit war für die niederländische Kirchengeschichte vielleicht vor allem darum charakteristisch, weil er auch zum Krönungsessen der Königin Juliana eingeladen war, und dabei vermittelnd und beratend dem Vertreter der Indonesischen Kirchen half, die – im Jahr großer kolonialistischen Spannungen – unsicher war ob er sich wohl vor der Königin verbeugen konnte. // Jetzt funktioniert die Kirche als Ausstellungsraum, und nur selten finden noch Gottesdienste statt (wie etwa zur kronprinzlichen Eheschließung in 2002).

3. De Noorderkerk

a. Im 17ten Jahrhundert kam es zu eigenständigen reformierten Kirchenbauten. In der Reihe Noorder- /Wester- /Zuider- /Oosterkerk, zeigt die Nordkirche (1620-23) mit ihrem griechischen kreuzförmigen Grundriss am stärksten ihre Funktion für die reformierte Gottesdienst um die Predigt herum auf.

b. An der Aussenseite gibt es ein Kupferplakat zum Gedächtnis des Februarstreiks 1941, wo es für einige Tage zu einer bemerkenswerten Solidarität der Arbeiterschaft mit ihren angegriffenen jüdischen Kollegen kam. // In dieser Zeit predigte in der Kirche Jan Koopmans, der in Verbindung mit Karl Barth getreten war, mit dem ersten illegalen, wütenden Pamphlet Bijna te laat! November 1940 gegen die Unterzeichnung des Arierparagraphen protestierte, und der am Ende des Krieges umgekommen ist.

4. De Rode Hoed, Keizersgracht 102

Der Kampf zwischen den Leidener Professoren Arminius und Gomarsus zeigte, wie die reformierte Tradition in den Niederlanden sowohl eine ‘liberale’ erasmianische wie auch eine ‘orthodoxe’ calvinistische Strömung kannte. Auf der Synode von Dordrecht 1618-19 – die auch politische Spannungen lösen sollte, und dazu Eintscheidungen zur Aufbau der Gemeinden traf – wurde die arminianische Fraktion (die liberalen Remonstranten) vertrieben. Sie tauchten aber schon bald wieder auf, und konnten schon 1630 an einer der neuen Grachten ihre versteckte Kirche gründen. // In dieser Gebäude finden seit 1990 auch die Gottesdienste der Studentengemeinde statt, die, geleitet von Huub Oosterhuis, seit 1970 unabhängig vom Episkopat zusammenkommt und die, trotz der wieder zunehmenden Feindschaft von der Seite der offiziellen römisch-katholischen Kirche, mit ihrer Liturgie die niederländische Christenheit sehr beeinflusst hat.

5. Die portugiesische Synagoge

In 1615 haben die Generalstaaten, nach einem Vorschlag von Hugo Grotius, verfolgten marranischen (sephardischen) Juden unter bestimmten Bedingungen eine Niederlassungsgenehmigung gegeben. Fast unmittelbar darauf wurde die Bibliothek Ets Chajim gegründet, die sich jetzt bei der portugiesischen Syngagoge (Bauzeit 1671-75) befindet. // In der Umgebung gab es das jüdische Viertel der Stadt – aber das ist eher Geschichte, da während der Naziherrschaft mehr als 100.000 Juden deportiert sind. Eindrucksvoll sind die Denkmale der Hollandse Schouwburg (Plantage Middenlaan 24) und im Wertheimpark.

6. Das Raspelhaus (jetzt: Eingang zum Kalvertoren am Heiligeweg)

Eine Herausforderung für die reformierte Theologie im zweiten Hälfte des 17ten Jahrhunderts war die kleine Strömung der frühen (oder ‘radikalen’, Jonathan Israel) Aufklärung. In 1668 verurteilte der reformierte Kirchenrat Amsterdams die spinozistischen Schriften des Mitglieds (und theologischen Kandidaten) Adriaen Koerbaghs (wie Een ligt schijnende in duistere plaatsen). Er wurde verhaftet und starb innerhalb eines Jahres im Raspelhaus, dessen Pforte (nach einem Entwurf von Hendrick de Keyser, 1603) gezähmte Raubtiere zeigen: vom Nutzen der Zucht…

7. Das Altmännerhaus (1683), jetzt (seit 2009) Hermitage, am Amstelfluß

Das Gebäude bezeugt die Arbeit der reformierten Diakonie, als Nachfolgerin der Armenarbeit der mittelalterlichen Orden. Es ist noch lange eine Versorgungsanstalt geblieben. Nach dem Ende der Sowjet-Union hat Ernst Veen, der damalige Direktor der Neuen Kirche, Kontakte mit Sankt Petersburg angeknüpft. Weil der Zar Peter 1697 in Amsterdam gewesen und hier zur Bau seiner eigenen Stadt inspiriert wurde, gab es eine Bereitschaft in Amsterdam, eine Filiale der berühmten Hermitage zu errichten. Die schnelle Verwirklichung der Pläne besagt etwas über den noch immer präsenten reformierten Einfluß in den Kreisen der Regenten. // Auf dem Gelände befindet sich auch ein diakonisches Haus für Flüchtlinge, sowie das örtliche Haus der Kirche – in der Nähe des Rathauses…

8. Zwei Denkmale im Oosterpark: das Slavereidenkmal (2002) u. ‘De schreeuw’ (Der Schrei, 2007)

Diese beide Denkmale vertreten zwei heikle und aktuelle Fragen. Erstens ist das die Beteiligung der Niederlanden am Sklavenhandel, die vor allem von der surinamischen Gemeinschaft (inklusive vieler Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeinde) angeklagend erinnert wird und jetzt zu heissen Diskussionen zum ‘Zwarte Piet’ (neben Sankt Niklaus) führt. // Und zweitens das Gedächtnis des Filmkünstlers und Provokateurs der Muslime Theo van Gogh, der am 2. November 2004 im Namen des Islams ermordet von Mohammed Bouyeri, welcher nach dem Mord durch das Park zu flüchten versuchte.

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R.H. Reeling Brouwer

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