Ein Bild vom Amt, seine Systematisierung, seine Problematisierung

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Arbeitskonferenz ‘Amt und Professionalität’

Berekfürdö, 23-27 Oktober 2001

EIN BILD VOM AMBT, SEINE SYSTEMATISIERUNG, SEINE PROBLEMATISIERUNG

Rinse Reeling Brouwer

Wir haben Analysen und Berichte zur Kennzeichnung der heutigen Lage des Pfarrers in der Kirche und in der Gesellschaft in den Niederlanden und in Ungarn gehört. Mir ist jetzt die Aufgabe zugewiesen, den Schritt von der Beschreibung der Lage zur Deutung der Lage vorzubereiten, dadurch daß ich einige ‘methodische Perspektive’ skizziere. Ich möchte also einigermaßen zeigen: ‘wie  man das eigentlich macht?’: in der Lage über ein Wort zur Lage nachdenken, und zwar als der ‘systematische[.]’ Theologe, der man als Theologe – sei es in der Tätigkeit des Pfarrers, sei es in der des Akademikers – immer auch ist.

Nun darf man das Don S. Browningschen Schema ‘Beschreibung ? Deutung (? Strategie)’ nicht in positivistischem Sinne mißverstehen, als gebe es zuerst quasi-objektiv eine Feststellung, welche unsere tatsächliche Situation sei, und erst danach eine – quasi frei zu erwählende – Interpretation oder Sinngebung derselben. Unsere Wahrnehmungen und Aneignungen der Wirklichkeit sind ja doch immer von bestimmten Vorstellungen unseres (vielleicht ‘eingebildeten’, jedenfalls ‘bildhaften’) Verhälnisses zu dieser Wirklichkeit schon geprägt und durch sie gefiltert. Wir verfügen immer schon, manchmal bewußt, meistens aber unbewußt, über viele, meist mehrdeutige, meist auch unter einander widerspruchsvolle, gefüllte, auch theologisch gefüllte Raster, durch welche wir unsere Erfahrungen ordnen, uns gegen bestimmte Erfahrungen immunisieren, uns durch wieder andere Erfahrungen korrigieren lassen und uns für noch wieder andere Erfahrungen hoffentlich [..]öffnen. Und es gibt für uns deshalb Anlaß, nicht nur bei der Analyse der Lage, sondern auch bei den Bildern und den Kategorien, mit denen wir die Lage zu verstehen versuchen, wachsam zu sein.

Ich werde deshalb diese Überlegungen nicht mit einem methodologischen Trockenschwimmen anfangen, um dieses dann nachher im Wasser der Praxis  auf die heutige Lage des Pfarrers ‘anzuwenden’, aber ich setze ein mit einem Bild – ein Bild zwar, das aber doch wie ich hoffe als Vor-bild dienen kann – ein, um dann zunächst die systematisch-theologischen Implikationen, dann aber auch die möglichen Problematisierungen oder Dekonstruktionen dieses Bildes auszuarbeiten.

Das Referat ist also aus drei Abschnitten zusammengesetzt: I. ein Bild, II. seine Systematisierung, III. seine Problematisierung. Dabei wird jeder Abschnitt mit einer Assoziation, die mir zur Geschichte Ungarns des vergangenen Jahrhunderts einfiel (einmal eine theologiegeschichtliche, zweimal eine kunstgeschichtliche Assoziation),  einsetzten. Wie heikel ein solches Vorgehen sein kann, ist mir bewußt. Das Subjekt der Assoziation – ich, Niederländer – kann meinen, den Anderen – euch, Ungarn – durch diese näher zu kommen, während er doch faktisch, wo die Erinnerungen  an dem Assoziierten für ihn einen ganz anderen Stellenwert hat als für diese Anderen, an sie vorbeiredet, so daß nicht das gegenseitige Verständnis, nur das gegenseitige Mißiverständnis gefördert wird. Wenn dies aber nachher in der Diskussion bald herauskommt, wenn dabei vielleicht mein Unverständnis für die (jüngere) hungarische[.] Geschichte herauskommt, können wir vielleicht auch daraus zusammen etwas lernen.

I. Ein Bild

In Budapest besuchte ich mal – es muß in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre gewesen sein – die ständige Ausstellung des Bildhauers Imre Varga. Im Katalog derselben findet sich eine Reproduktion eines 1974 in Mohács (im Süden Ungarns) realisierten Lenin-Denkmals und zudem zwei Entwürfe davon. An der Spitze einer Stufe scheint eine bronzen Fahne mit einer herkömmlichen Büste Lenins zu flattern. Auf die Stufe aber läuft der ganze Lenin, seine Hände in den Hosentaschen, nachsinnend unter seiner Mütze, nach unten. Es ist, alsob man ihn hier sehr einfach anreden kann. Es ist auch, ob er von seinem eigenen Denkmal [..]weg geht.

Man kann sich zu diesem Bild ganz unterschiedliche Gedanken machen. Man kann sich zum Beispiel an die Gattung des Lenin-Denkmals überhaupt ärgern: denn Lenin, das ist doch der Inaugurator und der Repräsentant des Regimes, das die Kirche Jesu Christi in die Ecke drängte, das die Sekularisierung, die im Westen schleichend und von innen heraus vor sich ging – und geht -, von oben und repressiv aufdrängte; und nicht umsonst sind gerade die Lenin-Denkmätler in vielen Städten und Döerfern während des großen Bildersturms nach 1989, gestürzt worden.

Man kann aber auch [..] auf die Verschiebungen innerhalb der Gattung achten, auf die Überraschung innerhalb der damals gültigen Ikonographie, auf die ideologiekritischen Momente innerhalb der damals herrschenden Ideologie, und dann fällt auf, wie dieser Lenin (wir reden hier gar nicht vom ‘historischen’ Wladimir Illitsch Uljanov) vom Sockel, auf dem man ihn gestellt hat, heruntersteigt. Hier wird offenbar ein Bild von Herrschaft evoziert, wo der ‘Herrscher’ gar nicht dort ober nur herrschen will, sondern sich (auf gar nicht dramatischer, eher ganz gewöhnlicher, alltäglicher Weise) als Diener begegnen läßt. Absichtlich nützte ich hier eine fast ‘christologische’ Redeweise, nicht sosehr weil ich meine, der Künstler hat [..] eine solche Botschaft gewollt (ich weiß nur, daß sich im Katalog Bilder befinden, die auf jedenfalls Römisch-Katholische Auftraggeber Vargas hinweisen), aber weil der Zuschauer, der Gebraucher des Denkmals, das Bild so auf sich einwirken lassen kann, sicherlich wenn er Theologe ist. Vielleicht ist er wohl der Theologe, der Pfarrer, der sein eigenes Bild oder das Wünschbild seines eigenen Amtes in diesem heruntersteigende Diener gerne wiederfindet.

Aber ich beeile mich, dann auch noch eine dritte mögliche Reaktion auf die Plastik zu benennen. Also erstens: man kann sich an diesem Bild Lenins ärgern, zweitens: man kann sich an diesem Bild Lenins freuen, und nun drittens: man sich sich Rechenschaft geben darüber, daß heute, und zwar schon seit zwölf Jahre, überhaupt keine Leninbilder mehr gemacht werden. Obin der Höhe, oder ob hinuntergestiegen, es gibt ihn nicht mehr. Das muß uns schon eine Warnung sein: wir können uns vielleicht im kenotischen, selbstentleerenden (Phil. 2, 7), und in tapeinotischen, erniedrigenden (Phil. 2, 8), Bilde des Herren als Knecht gerne widerfinden, aber vielleicht verläuft die Entleerung wirklich ins Leere, wird der Niedergang des Ansehens des Pfarrers hinterher wirklich als Anfang seines Endes – seiner Sterbensnot (Jonkers) – erscheinen. Ich komme darauf zurück.

In diesem Augenblick verweile ich aber noch etwas länger bei dem zweiten möglichen Apperzeption des Bildes: der Pfarrer kann sich selbst am Bilde des Hinabgehens gerne und freiwillig spiegeln. Die Prozesse der Säkularisierung, der Demokratisierung, der funktionalen Egalisierung kann er mit Hilfe dieses Bildes anders als nur eine Bedrohung, die von außen über ihm kommt, erfahren. Nicht nur kann er zugeben, daß diese Prozesse auch ihn selbst berühren und mitnehmen, daß er selbst von ihnen geprägt ist, sondern auch kann er (mit der sogennanten Säkularisierungstheologen der fünfziger und sechziger Jahren) in ihnen bestimmte Motive, mit denen er von seiner Tradition her vertraut ist, wiedererkennen, ja vielleicht gerade durch sie an diesen Motiven wieder erinnert werden. Eine neue gesellschaftliche Praxis bringt offenbar ihren eigenen theologischen Gehalt mit sich.

Ich deute das für einige Felder, die in den vorangehenden Berichten und Analysen schon angesprochen wurden, kurz an:

a. Die Berufung und die Profession. Zwar hat schon die Reformation mit der Einrichtung einer  isolierten ‘geistlichen Stand’ im Prinzip gebrochen, und ist es nach Calvin nur ein homuncio quispiam ex pulvere emersus (irgendein Menschlein, das aus dem Staub hervorgegangen ist), welcher nulla in re nos excellat (in keiner Hinsicht höher steht als wir), der aufsteht um in Gottes Namen zu reden, dennoch hat es sich in den vorangehenden Jahrhunderten gezeigt, daß sich auch im (Verbi Divini) ministerium sehr viel dominium verstecken konnte. Die Berufung zum Dienst konnte als religiöse Legitimierung, welche sich jeder Verantwortung entziehen möchte, funktionieren und der Dienst am freien Wort (namentlich in den reformierten Großkirchen) als Deckmantel für eine ‘freien’ Berufstätigkeit. Die Entwicklung der Professionalisierung des Pfarramtes nun, der schon einige Jahrhunderten im Gange ist (und vielleicht schon mit den humanistischen Idealen des Pfarrers als dreisprachigen Gelehrten angefangen hat), und die sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt durchgesetzt hat, enthält zwar an sich noch keine Garantie gegen die Mechanismen der Herrschaft (es gibt ja nicht nur die Überheblichkeit eines Geistlichen sondern auch die Arroganz des Akademikers!), aber fördert letztendlich doch die institutionalisierte und sachgemäße Prüfung der Arbeit. Früh oder spät (wahrscheinlich doch früh) wird der Pfarrer bei uns – wenn keinen Unternehmer (Jonkers), dann doch – einen Arbeitnehmer, sei es zum Beispiel nur weil das Finanzamt  eine andere Kategorie gar nicht mehr verstehen und anerkennen kann. Der Pfarrer macht Jahresberichte zu seinen Tätigkeiten. Die Gemeinde macht Zählungen der output, um den Umfang der Pfarrstelle feststellen zu können. Beide haben ihre Interessen an Verhandlungen über solche Fakten, denn mancher Pfarrer will und kann nicht immer mehr ‘verfügbar’ sein und legt darum Wert auf klare und durchsichtige Verabredungen. Dabei geht es oft sehr mangelhaft und ungewöhnt zu. Und was meistens noch völlig fehlt, ist eine gute Laufbahnberatung durch kompetente Instanzen. Aber dennoch scheint die Tendenz eine klare: von der einsamen Höhe des autoritativen Redens zum Volk steigt der Pfarrer immer mehr hinab in die Position des Teilnehmers an einem kollektiv organisierten und rational prüfbaren Arbeitsproze.

b. Das Amt und die Person. Das Ansehen des Pfarrers in Kirche und Gesellschaft hat mit der Säkularisierung ebenfalls eine beträchtliche Degradation erlitten. Nach außen muß er sich durch die Sachkündigkeit seines Redens erweisen, nach innen hat er, auch in seiner Funktion als Lehrer der Schrift, in zunehmendem Maße mit einem gut gebildeten, mündigen Publikum zu tun. Die Achtung vor ihm ist nicht ohnehin gegeben. Er muß sie erwerben. Viel hängt ab von seiner Empfindsamkeit, seiner Geduld, seiner Fäthigkeit die Mitarbeiter zu inspirieren, seiner Originalität im Unterricht und – der Pietismus hat es schon gewußt – seinem Mut zum Glauben, kurz: viel hängt ab von seiner Authentizität, nach Habermas bekanntlich einer der Haupttugenden der Aufklärung. Und das geschieht in einem Kontext, in welchem der selbstverständliche Schutz des Amtes immer mehr in Wegfall kommt, und in welchem andererseits auch das Ideal der Romantik einer ‘integrierten Persönlichkeit’ immer mehr desintegriert. Der Pfarrer ist zur Bescheidenheit genötigt und er wird sich darin üben… müssen.

c. Der Diener der einen Kirche und die Spezialisierung. Es scheint sie noch zu geben: die übersichtliche Gemeinschaften, wo der eine Diener alle notwendige Dienste leistet. Oder gibt es sie eigentlich schon nicht mehr, und meint nur eine an der Vergangenheit [..]haftende restaurative Kirche, da es sie noch gäbe? Wie dem auch sei: es geht nicht mehr, die soziologische Fakten sprechen ihre deutliche Sprache, die ehemalige ‘Ortsgemeinde’ ist im Raum und in der Zeit zersplittert und immer weiter ausdifferenziert. Die Parochie, par-oikia, soll wieder heißen: das Beisasse-sein, das sich als die dem kommenden Messias Zugehörigen in die gegebenen soziologischen Strukturen der polis Fügen (z.B. 1 Petr. 1, 17), und das sind heute nun einmal nicht mehr die agrarisch-feudalen Strukturen des Karolingerreiches. Und so geht es auch [..]: die Gemeinden sind stark differenziert in ihren Spiritualitäten, in ihren Gesangbüchern, in ihren Bibelübersetzungen, in der sozialen Herkunft ihrer Mitgliedern. Und zugleich ist auch die sogenannte ‘kirchliche Arbeit’ immer mehr spezialisiert: es ist doch schon lange unmöglich, daß ein Pfarrer sowohl ein[.] Clinical Pastoral Training hinter sich hat und also als Pastor in einem Krankenhaus arbeiten darf, als den Koran in arabischer Sprache lesen kann und also für ein[.] multireligiöses Gespräch qualifiziert ist, als die modernen Arbeitsverhältnisse kennt und sich also in einer großen Reinigungsanstalt solidarisch erweisen kann, und dann auch noch als weiser Berater den individuellen Lebensweg in den einzelnen Etappen begleiten kann. Das geht einfach nicht! Und es wird sich zeigen, daß es nicht geht, auch wenn das Kirchenrecht diese Lage noch gar nicht recht anerkennt.

Fazit: der Pfarrer macht diese Bewegung von einer autoritativen Position zum Teilnehmer an einem kollektiven und rational prüfbaren Arbeitsproze, von einem Träger des objektiven Amtes zum Vertreter nur seines eigenen authentischen Glaubensverhaltens, vom quasi allvermögenden Bewohner des Pfarrhauses zum spezialisierten Pastor, Lehrer oder Berater. Und in dieser dreifältigen Bewegung kann er sich dann vielleicht in diesem Bild des Mannes mit der Müitze und den Händen in den Hosentaschen, der [¼] vom Sockel seines eigenen Denkmals hinabsteigt, wiederfinden.

Über dieses Bild werden wir nun weiter nachdenken, und zwar: systematisch-theologisch nachdenken. In dieser Aufgabe ist aber impliziert, daß auch die systematische Theologie selbst von den eingreifenden Veräunderungen in der Gestalt der ‘Kirche’, von der sie doch (jedenfalls nach Schleiermacher und Barth) eine Funktion ist, nicht unberührt ist. Der niederländische (friesische) Theologe Oepke Noordmans hat sich mehrmals zu den verschiedenen Gestaltwandlungen, den unterschiedlichen ‘Aggregatzuständen’ des kirklichen Dogmas geäußert: in der griechischen Kirche war und blieb es liturgisch (bewahrt im ‘Symbolon’, und,  als dem Ort der Kontemplation dieses ‘Symbolons’, im Kloster), in der lateinischen Kirche wurde es rhetorisch (wo die Predigt und die Schule als pädagogische Einrichtungen funktionieren), in der Reformation aber wurde es zu einer Sache der Gemeinde als einem Ganzen, und so zu einer geteilten Sprachregelung der kirchlichen Kommunikation, also pastoral. Es stellt sich aber die Frage, ob es die Voraussetzungen für diese dritte Gestalt, die der pastoralen Dogmatik, überhaupt noch gibt. Gibt es noch diese eine Gemeinde, die durch eine Sprachregelung reguliert werden kann? Oder wird vielleicht ein neuer Aggregatzustand des Dogmas eintreten oder wird diese schon im Verborgenen eingetreten sein? Auch das muß also im Folgenden untersucht werden: ob so ein Bild wie das der kenosis, des Hinabsteigens des Pfarramtes, sich noch mit den überlieferten dogmatischen Denkmitteln überhaupt denken läßt?

II. Eine Systematisierung

In der Frühling von 1948 machte Karl Barth, mit seiner Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum, eine Reise (seine zweite Reise) nach Ungarn. Er predigte (am Karfreitag in Debrecen), er sprach mit vielen führenden Personlichkeiten der reformierten Kirche und er hielt drei Vorträge an verschiedenen Orten des Landes[..]. Einer dieser Vorträge handelte von ‘Die christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen’. Es ging darin also um die Frage nach der Aufgabe der Gemeinde, wenn die politische Ordnung (faktisch: die gesamte gesellschaftliche Ordnung) sich in einem so radikalen Wechsel befindet wie das hier und im ganzen östlichen Bereich Europas in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg der Fall war. Seine Position in dieser Sache war damals in seinem eigenen Land, in der Schweiz, sehr umstritten. Leute wie Emil Brunner meinten, er dachte viel zu leichtsinnig vom kommunistischen Totalitarismus und viel zu mild von einer Kirchenleitung, die mit dieser totalitären neuen Regierung Verhandlungen machte. Wahrscheinlich (ich weiß das nicht) gab es solche kritische Stimmen auch hier, sicherlich bei denen, die nicht wußten, was Barth in seiner Privatkorrespondenz [an die / über die ?]Verantwortlichen in der Kirche schrieb.

Davon rede ich nun weiter nicht. Es geht mir hier um die hermeneutische Konsequenzen, die Barth aus der Lage zieht. Er sagt: ‘Kein Zweifel, daß solches Geschehen [dieser Umsturz, rrb] ihr [der Gemeinde] vor allem Anlaß geben muß, sich selbst durch Gottes Wort erneuern zu lassen. Ja nicht durch Anpassung und Gleichschaltung der sich verändernden politischen Situation gegenüber! (…). Sondern wenn die politischen Verhältnisse sich verändern, dann werden die Christen das schlicht zum Anlaß nehmen, die heilige Schrift neu zu lesen und zu sich reden zu lassen…’. Und ‘eine Gemeinde, die das tut, wird dann bestimmt ein ganz neues (…) Beten lernen, und es kann nicht ausbleiben, daß von da aus auch ihr Zeugnis, ihre Auslegung der Schrift und des Katechismus Kraft und radikalen Bezug auf die Gegenwart bekommen werden. Und eben dies: ein neues Schriftverständnis, ein neues Beten und ein neues Zeugnis ist die entscheidende Beteiligung der christlichen Gemeinde am Wechsel der Staatsordnungen.’ Also: gesellschaftliche Veränderungen, eine politische ‘Revolution’, sie sollen der Gemeinde zu einem Anlaß sein, die eigenen Fundamente neu zu durchdenken, ja, sie nimmt selbst auf ihren eigenen Gründen und in ihrer eigenen Identität an solchen Veränderungen teil. Eine vollständige hermeneutische Theorie, wie manche Theologen (und PfarrerInnen – wir hörten Marga Baas) sie in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, ist dies noch [..]nicht. Aber soviel ist klar: es gibt für Barth nicht nur eine Bewegung von den Quellen zu ihren aktuellen applicatio (Anwendung), es gibt gerade auch eine umgekehrte Bewegung von der Lage her zu einem neuen ‘Lesen’ (der Quellen in/und der Situation) und zu neuen Handlungsperspektiven.

Das bedeutet in unserem Zusammenhang, daß die oben beschriebenen soziologischen Fakten der Rationalisierung, der Subjektivierung, der Segmentisierung des ehemaligen ‘hohen’ Pfarramtes für Kirche und Theologie kein Anlaß sein können, sich abzuwenden, ebensowenig sich nur anzupassen, sondern vielmehr um die Entwicklungen auf ihren eigenen theologischen Gehalt hin zu befragen, und das heißt also vor allem: um die Schrift und die Bekenntnistradition von diesen Entwicklungen her ganz neu zu sich reden zu lassen.

De facto hat Calvin, obwohl er natürlich noch gar nicht über eine ausgearbeitete hermeneutische Theorie in unserem Sinne verfügen konnte, doch eigentlich, angesichts des Scheiterns des historischen Papsttums und des falschen Herrschaftsanspruches des sakramentalen Priestertums, und mit Hilfe der Erfahrungen der aristokratisch-bürgerlichen städtischen Regierungsformen, wie er sie in Straßburg vorfand, so etwas getan: er hat in seiner Situation die Bibel neu gelesen und von daraus neue Handlungsperspektiven entworfen. Ihm ist bei diesem Vorgehen oft ‘Biblizismus’ vorgeworfen. Wäre das der Fall, dann wä ren wir nur vor der  Wahl gestellt: entweder seinen ‘biblischen’ Entwurf voll übernehmen, oder der Schrift ‘ungehorsam’ sein. Aber eine so vorgestellte Wahl scheint mir nicht nur unrichtig sondern auch unnötig. Wir stehen vor die Aufgabe, in Analogie zu der Weise worauf er in der Krise seiner Zeit die Bibel neu gelesen hat und eine (geschichtlich übrigens sehr wirksame[.]) Alternative skizziert hat, in der Krise der Gemeindeleitung  unserer Zeit auf eigener Verantwortung und ‘vor dem prophetischen Wort gebeugt – ins freie’ ähnliches zu tun. Das wäre jedenfalls mein Vorschlag im Blick auf den Umgang mit der Reformationshistorische Informationen morgen.

Und für den Umgang mit den biblischen Befund gilt etwas Derartiges. Bei näherem Zusehen könnte es ja so sein, daß man den hermeneutische Prozeß der ständigen Neubesinnung nämlich auch schon in den biblischen Schriften selbst immer wieder vorfindet.

Die Bücher Samuël und Köninge, so habe ich von den Alttestamentlern gelernt, haben ihre letzte Redaktion frühestens erst im Exil gefunden, das heißt nachdem das Scheitern des historischen Malkuth in Israël und Juda schon manifest geworden [..]und eine Restauration des Königstums eines ‘Sohn[.] Davids’ nur noch utopisch zu denken war. Also geben diese prophetischen Schriften eine schonungslose Analyse post festum: da wird gezeigt, wie die Einrichtung der Monarchie im internationalen Kontext unvermeidlich war und zugleich [enkelvoud: den Keim, meervoud: die Keime]des Verderbs vom Anfang an in sich trug. So sieht man es schon bei Schaul (dem ‘Gefragten’, dem ‘Erwünschten’), der als erster ‘Herzog’ auftritt: er verkörpert zugleich die Antwort auf den Wünsch des Volkes nach einem ‘König, wie alle Völker haben’ (1 Sam. 8, 5), wie die Antwort JHWH’s auf die Frage nach einem König, eine Antwort die richtiges Heil beinhalten könnte (1 Sam. 10, 24: ‘ihn, den ER erwählt hat’): diese doppelte Verkörperung in Schaul ist von vorne herein zwar noch offen, aber doch zugleich mit einer großen Problematik belastet. Von der Problematik sollten die späteren Geschlechter eine Warnung lernen, von der Offenheit sollten sie die Hoffnung lernen.

Ähnliches ist zu sagen vom Priestertum, das nach dem Exil eine wichtige Funktion als Bindeglied im Judentum bekam, dessen Darstellung aber auch später, als es gar keinen Tempel und keinen Tempeldienst mehr gab, im Unterricht in den Synagogen (anders als in den christlichen Kirchen) eine zentrale Stellung behalten hat. Im Buch Leviticus spielen die cohaniem eine äußerst wichtige Rolle (Lev. 8-10). Einerseits sind sie diejenigen, die die ‘Nahungen’ (wie Buber übersetzt), die Gaben der Gemeinde (Lev. 1-7) sammlen, bei einander lesen und vor Gott bringen, also die Kommunikation der Menschen mit Gott erleichtern; andererseits sind sie diejenigen, die den Unterricht, die Weisung an das Volk bringen, damit es kritisch ‘zwischen heilig und unheilig, unrein und rein’ (Lev. 10, 10-11) unterscheiden kann. Diese doppelte Repräsentation – die Repräsentation des Volkes vor JHWH, die Repräsentation JHWH’s beim Volk – ist eine Unmöglichkeit. Denn wer weiß eigentlich, was Nadab und Abihu nun falsch gemacht haben, was ihren Vater Aaron offenbar gut gemacht hat? Wann ist das heilige Feuer dan eigentlich ‘das fremde Feuer’ (Lev. 10, 1) und deshalb tödlich? Die Thora scheint eher eine Unmöglichkeit als eine Perspektive zu evozieren, und damit vor allem eine Frage zu hinterlassen.

Beide Linien sind dann bei den Evangelisten und Apostel noch weiter gezogen. Im Matthäusevangelium als ‘Evangelium vom Königtum’ (Mat. 24, 14) wird, wahrscheinlich von einer Situation her, wo dem ökumenischen Judentum jede Möglichkeit, politische Herrschaft im Lande inne zu haben, schon radikal geraubt war, im Kontrast zum berüchtigten Tyrannen Herodes[.] einen König geschildert, der ‘vom Kreuze regiert’ (Mat. 27, 37.42). Und im Brief ‘An die Hebräer’ wird, von einer Situation her, wo es auch den zweiten Tempel und damit die Voraussetzung für denPriesterdienst schon nicht mehr gab, in Solidarität mit dieser inner-jüdischen Problematik, einen himmlischen cohen ha cohaniem als Aufhebung der Unmöglichkeit des Aaronischen Dienstes proklamiert. In beiden Fällen also könnte man das Reden von den messianischen ‘Ämtern’ von der Krise dieser ‘Ämter her lesen. Das wäre jedenfalls im Zusammenhang unserer Fragestellung mein hermeneutischer Vorschlag [..].

Soweit die Bibel und das (reformatorische) Bekenntnis. Und das Dogma? Wir sprachen im vorigen Abschnitt von der kenotischen Bewegung, vom ‘Hinabsteigen’ des Amtes als Wiederspiegelung des ‘Hinabsteigens’ des Herrens der [..]Knecht wurde. Implizite haben wir damit schon, sei es bis dahin nur assoziativ und in einem Bild, eine Linie von der Amtstheologie (oder anti-Amtstheologie) zurück zur Christologie gezogen. Wir brauchen das nur noch in die entgegengesetzte Richtung zu explizitieren. Denn vielleicht gibt es in der Geschichte der christologischen Debatten auch Einsichte, die uns in den Diskussionen zu der Krise des Pfarramtes helfen können.

Die Geschichte des Kenosis-Themas weist zwei unterschiedliche Linien auf. Auf der Hauptlinie der kirchlichen Lehrbildung wird betont, daß das Wort, das sich entleert, in dieser seinen Entleerung nicht aufhört, zugleich doch mächtig und souverän in der Himmel und auf die Erde zu herrschen, daß es zwar das Fleisch annimmt (assumptio carnis), aber vom Fleisch niemals besiegt oder auch nur ergriffen werden kann. Fraglich ist hier, ob von einer richtigen Fleisch-werdung eigentlich überhaupt gesprochen werden kann. Und fraglich ist auch, ob ein biblisches Reden vom Geschehen des Wortes hier, bei einem so axiomatischen Festhalten an der Unveränderlichkeit, Leidensunfähigkeit und Unsterblichkeit des Wortes Gottes, noch [..]honoriert werden kann.  Auf der anderen Linie, der  oft im Unterirdischen wirksamen Nebenlinie, wird die Fleischwerdung als eine richtige Transformation gedacht[.] so, daß das Göttliche sich wirklich durch das Fleisch berühren und verletzen läßt. Hier ist dann [¼]wieder fraglich, ob das sich entleerende Wort noch wirklich Wort Gottes ist, oder ob es sosehr als in die Geschichtlichkeit untergetaucht gelehrt wird, daß es in diesem Prozeß des Untertauchens fast unkenntlich geworden ist. Beide Linien, die Haupt- und die Nebenlinie zusammen, sind zwar jede für sich als eine endgültige Lösung des christologische Problems vorgestellt worden, können wahrscheinlich aber eher und besser als eine gegenseitige Frage aufgefaßt werden.

Mutatis mutandis, vom christologischen in den praktisch-theologischen Bereich hinüberwechselnd, können wir beide Typen auch in bestimmten Pfarrgestalten wiedererkennen. Es gibt einerseits Diener des Wortes, die dermaßen davon überzeugt sind, daß ‘das Wort bleibet in Ewigkeit’, und, daß es trotz aller menschlichen Rebellion letztendlich immer siegreich wirksam sein wird, daß sie sich von allen Veränderungen im gesellschaftlichen und kirchlichen Bereich fast unberührt zu zeigen scheinen, sich zwar niederbeugend den neuen Fakten anpassen, aber sich niemals als von ihnen richtig getroffen und betroffen bezeigen. Die Frage an sie muß hier sein, ob sie sich nochwohl bewußt sind, dem sich erniedrigenden Wort zu dienen, ob sie bereit sind [..] sich mit dem Lenin Varga[.]s vom Sockel herab zu bewegen.

Andererseits gibt es auch Mitarbeiter in der Gemeinde, die in ihrer kenotischen Bewegung in den oben skizzierten Entwicklungen der Rationalisierung, Subjektivierung und Segmentisierung völlig mitgegangen sind. Das Wort ward Fleisch: der Katechet wurde Bildungsarbeiter, der Pastor Therapeut, der Diakon Sozialberater. ‘Und es war gut so’. Ja, war es das wirklich? Muß diese Transformation dann auch einen völligen Verlust der Qualifikation bedeuten? War es dann nicht der, ‘der in der Gestalt Gottes war’, der sich entleerte und sich mit der Gestalt des Sklaven solidarisierte? Bleibt, während [.]Lenin herabsteigt, seine Büste dort oben in der Fahne nicht doch auch immer als ein Vargaschen extra-calvinisticum flattern? Hat die christliche Gemeinde dann nicht so etwas wie eine spezifische Identität, einen eigenen Einsatz, eine eigene ‘entscheidende Beteiligung’ an den gesellschaftlichen Veränderungen, von denen wir Karl Barth reden hörten?

Wie in den christologischen Debatten scheinen mir auch hier im praktisch-theologischen Bereich die unterschiedene Positionen einander nicht nur nicht auszuschließen (als ob einer von uns über die eine, richtige Lösung verfügte), sondern vielmehr einander [..]sehr kritisch und eindringlich zu befragen.

Ich schließe diesen zweiten Abschnitt ab. Am Anfang stand die Notwendigkeit einer Hermeneutik angesichts der von der Soziologie festgestellten Veränderungen der Lage des Pfarrers in Kirche und Gesellschaft. Danach wurde die Frage gestellt, welche die Konsequenzen einer solchen Hermeneutik sein könnten im Hinblick auf das Bekenntnis der Reformation, das Lesen der Bibel und das Verständnis vom Dogma. Zum Schluß gebe ich in drei Thesen einige Beobachtungen über das, was während [.] eines solchen ‘neuen Lesens’ geschieht[..]:

1.       Offenbar gibt es von der theologischen Tradition her Blockaden, die gesellschaftliche Fakten überhaupt wahrzunehmen. Ein Biblizismus in der Amterlehre kann so eine Blockade sein, der Nachdruck auf die Unveränderlichkeit des Wortes, ohne das Wort auch richtig als ‘ein Knecht in der Welt’ zu verstehen, ebenso.

2.       In der veränderten Situation gibt es schon Ansätze, die theologisch aufzugreifen und zu werten sind. Das Bild vom Herabsteigen vom Sockel war als Vorbild solcher Möglichkeiten gemeint: man kann die Entwicklungen kenotisch ‘lesen’.

3.       Das neue theologische Verstehen wird in manchen Fällen die alte Lehre ersetzen, aber das muß nicht immer der Fall sein. Es wird oft nützlich sein (und außerdem auch ‘gesund’) das Alte nicht einfach wegzuwerfen, sondern in einem neuen Kontext neu zum Sprechen zu bringen. So haben die biblischen Zeugen von den in ihrer eigenen Zeit schon untergegangenen Gestalten der Ködnige und Tempelpriester erzählt, um von ihnen und  ihrer Problematik zu lernen. So könnte eine ‘kenotische’ Christologie sich, statt sich als Alternative für die Lehre der alten Kirche aufzufassen, auch immer wieder von dem Wahrheitsmoment dieser Lehre befragen lassen. Und so könnte ein professioneller, auf Authentizität achtender und spezialisierter kirchlicher Mitarbeiter neuen Stils sich von den alten Stichwörtern ‘Berufung’, ‘Amt’ und ‘ecclesia una sancta’ immer noch und immer wieder etwas fragen lassen.

III. Eine Problematisierung

Die Pantomime ‘Der wunderbare Mandarin’ von Béla Bartók (1919-1924) hat, wie fast immer bei diesem Komponisten, eine klare, und das heißt, wie oft bei ihm: eine symmetrische Struktur. a: Das Stück fängt an mit dem Lärm der Großstadt; b. 1-3: darauf folgen drei Szenen, wo ein junges Mädchen von Strolchen gezwungen wird, Männer zu sich heraufzulocken, von denen die zwei ersten Gäste herausgeschmissen werden, der dritte, ein chinesischer Mandarine, eine reichere Beute verspricht und mit Tänzen von ihr verführt werden soll; c. im zentralen Teil hören wir dann, wie er in heftiger Liebe für das Mädchen, das aber vor ihm graut, entbrennt und sie jagt (Fuge!); b1. 1-3: darauf gibt es drei (mit den drei früheren Verführungsszenen korrespondierenden und aufs neue in die dritte Szene kulminierenden) Szenen, wo die Räuber versuchen, den Mandarin zu ermorden, was aber nicht gelingt weil er nur sehnsuchtsvoll das Mädchen anblickt, und a1. zum Schluß ist dann die Entladung da, wo das Mädchen den Wunsch des Mandarins endlich ja doch erfüllt, der darauf tot hinstütrzen kann.

Die Symmetrie scheint ausgewogen. Aber dieser Schein ist irreführend. Nachdem die Uraufführung in Köln 1926 einen Skandal erregte und weitere Aufführungen vom damaligen Bürgermeister Konrad Adenauer verboten wurden, stellte Bartók, um die Musik jedenfalls nicht der Vergessenheit preis zu geben, 1927 eine Concert-Suite des Werkes zusammen. Hier hört die Musik mit der Jagd, der Fuge, auf. Und das ist nicht ohne Grund. Denn was folgt, ist, gerade in musikalischer Hinsicht, ein Prozeß der Desintegration, der ohne Handlung weniger Struktur aufzeigt. Ich würde sagen: das hat mit dem kenotischen Charakter des Schlusses zu tun.

Diese Schlußszene kann man auf verschiedenen Weisen interpretieren. Ich las eine (vermutlich von den Erwartungen aus sozialistischen Zeiten beeinflußte) Deutung, die positiv die errettende Liebe der Frau besingt: ‘In dem Augenblick, in dem sie ihren Ekel von dem abscheulichen Mandarin überwindet und ihn umarmt, ist sie aus den Fesseln befreit, die ihr die Gesellschaft angelegt hat, ist sie gerettet. Durch die symbolische Geste der Umarmung wird auch der Mandarin von seinen Qualen erlöst. Nicht mit Gewalt war seine Rettung zu erzwingen. Nur die humane (nicht die erotische) Zuneigung des Mädchen[.] war dazu fähig. Für den alten Mandarin (der symbolisch als die überlebte, mit Schuld befleckte, nicht mehr lebensfähige Gesellschaftsordnung gedeutet werden kann) ist die Erlösung nur durch den Tod erreichbar. Dem nunmehr seiner Menschlichkeit bewußt gewordenen Mädchen steht aber ein neues Leben offen.’ Aber man kann auch sagen: es ist gerade eine Männerphantasie, die Frau so haben zu wollen, nämlich als die erlösende Kraft, die ihm in seiner unendlichen Einsamkeit entgegenkommt und ihn entpantzert [dat woord bestaat volgens mij in het Duits niet. Als je deze tekst publiceert, misschien tussen aanhalingstekens], wobei diese Entpanzerung [idem] außerdem offenbar nur im eigenen Tode, d.h. im (ersehnten?) Tod des eigenen Verlangens, denkbar ist. Jedenfalls: dieses Ende bezeigt ein Zerfallen, eine Auflösung. Und in dieser Entleerung mußu die schön konstruierte Symmetrie wohl gestört werden.

Diese Erinnerung an dem Zerstückeln der Strukturen, an der Asymmetrie in der scheinbaren Symmetrie bei Bartók, ist in unserer Zusammenhang als eine Warnung gemeint. Die Thesen am Ende des vorangehenden Abschnittes können nämlich zu schön, zu rund aufgefaßt werden (das berühmte Bild eines ‘hermeneutischen Zirkels’ zeichnet gerade…ein Zirkel, also etwas Rundes). Wenn man vom Pastor als Subjekt des hermeneutischen Prozesses redet ist man die Gefahr ausgesetzt, dieses Subjekt doch wieder als eine Position der Herrschaft aufzufassen. Natürlich: der Dolmetscher hat keine andere Absicht als die Förderung der guten, vielleicht sogar ‘herrschaftsfreien’ Kommunikation zwichen Höhern des Textes, der Pastor will das Verstehen des Textes und der Situation von mündigen Leuten nur dienen. Aber wie rasch ist er es doch wieder, der die Vermittlung organisiert und heimlich auch lenkt? Steigt er dann wirklich von der Treppe herab?

Ich spitzte die Frage noch ein wenig[.] zu. Das Bild des Herabsteigens nannte ich in einer der Christologie entnommenen Kategorie ein ‘kenotisches’ Bild. Und vom christologischen Diskurs sprach ich als von einer Redeweise, wo es nur Annäherungen, nur Fragen gibt, keine Lösungen. Die christologischen Aussagen ziehen Linien (ich sprach von einer Haupt- und von einer Nebenlinie), Demarkationslinien könnte man sagen, aber die Linien miteinander zeichnen ‘den Christus’ nicht, sie be-zeichnen nur einen Raum, in den der Christus treten kann, bestenfalls ‘bereiten’ sie ihm ‘die Wege’. Die große Gefahr aber, wenn wir uns selbst in einem kenotischen Bild wiederzufinden meinen kann sein, daß wir uns dann heimlich auch mit ihm identifizieren. Nicht ohne Grund redet man so oft vom ‘Jesus-Komplex’, der dem Pfarrer [.]droht. Er hat es ja doch verinnerlicht: er ist zum Dienen da, zum Helfen derjenigen, die keinen Helfer haben. Das war schon so, wenn er sich noch ‘berufen’ gewußt hat. Aber vielleicht ist es bei einem quasi-säkularisierten Aufgeben des Amtes noch immer, nun aber unsichtbarer der Fall. Er ist nicht mehr in der Höhe, er ist nun ein guter Freund – vielleicht ein letzter Form des Selbstbetrugs, jedenfalls eines Fehlens der Reflexion auf sich selbst. Vielleicht ist unser ganzes kenotisches Reden noch eine letzte Aüßerung dieses Jesusartigen Selbstbewußtseins, eine letzte Tat der selbstopfernden Liebe gewesen. Und in diesem Fall könnte eine Brechung, ein Zerfall dieses (wie auch sich als ‘entleerendes’ gebätrdendes) Subjekt von Nutzen sein.      

Man muß [.]als Theologe nüchtern anerkennen: man hat nun mal eine andere gesellschaftliche und oft auch (zum Nutzen oder zum Nachteil) eine andere materielle Position,  eine andere Expertise, einen anderen intellektuellen Hintergrund als die meisten Mitglieder der Gemeinden, Kunden oder Dialogpartner, und damit sind sowohl bestimmte Grenzen als bestimmte Möglichkeiten gegeben. Sich den Erfahrungen den Modernität (insbesonderen in seinen schwächen Manifestationen) aussetzen, wie bei einer exposure training in der urban mission, ist vom größten (auch hermeneutischen) Gewicht, aber gerade dann, wenn es keine Geste eines expressionistischen Liebestodes zu sein braucht, wie bei dem Mandarine. Auch, ja besonders, wir Pfarrer und Theologen sind auf den iustificatio impii angewiesen!

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R.H. Reeling Brouwer

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